geändert am 8.4.2005 - Version Nr.: 1. 3

Streitdialog
Kunstkritik

Ein Streitdialog zwischen Dr. Dieter Porth und Daniel Costantino zur Frage: "Was ist

Vorwort

Der Streitdialog beschäftigt sich mit der Kunstkritik. Im Artikel werden einige Konzertkritiken erwähnt. Diese finden sie hier.

Link zum Streitdialog auf der Website von Daniel Costantino

Link zum Streitdialog auf der Website von Dr. Dieter Porth

Der Dialog

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1. Startartikel von Dieter Porth (20.11.06)
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Was ist eine gute Kunstkritik?
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Hierzu fallen mir verschiedenen Unterfragen ein, die über die Qualität einer Kunstkritik entscheiden?
- Welchen Zweck soll eine Kunstkritik haben?
- Welche Rolle hat der Kritiker beim künstlerischen Schaffensprozess?
- Welche Form muss eine Kritik erfüllen?
- Gibt es für die verschiedenen Bereiche der Kultur (Malerei, Dichtung, Musik) unterschiedliche Prinzipien für eine Kunstkritik; oder gibt es gemeinsame Prinzipien, die bei der Form, beim Stil und beim Aufbau einer Kunstkritik einzuhalten sind?
- Was grenzt eine Kunstkritik von einer Meinungsäußerung, von einer Schmährede, von einer Hymne oder von einem Nachruf ab?
- Welchen Stellenwert sollte die Meinung des Kritikers in eine Kunstkritik haben?
Ich möchte den Artikelwettlauf mit der Frage nach dem Zweck einer Kunstkritik beginnen.

--- Zweck einer Kunstkritik ---
Für mich hat Kunstkritik auch immer einen praktischen Bezug. Eine Kunstkritik hat viel mit einem Gutachten gemeinsam. Es soll bei der Entscheidungsfindung helfen. Gerade deshalb setzt man sich doch mit Themen auseinander. Aktuell beschäftige ich mich damit, ob die Inszenierung eines Diskjockey-Set in einer Diskothek vergleichbar ist mit der Kultur typischer staatlich alimentierter Veranstaltungen wie klassischer Konzerte, Theateraufführungen, Lesungen oder Jazzkonzerte. Mich interessiert dabei die speziellere Frage, ob ein Diskjockey-Set kulturell auch gleicher Höhe steht wie ein klassisches Konzert, ein Ska-Pop-Konzert oder ein Jazzkonzert.
Was ist an der zweiten spezielleren Frage praktisch? Nun ich mache in Göttingen beim nichtkommerziellen Lokalfunk (Stadtradio Göttingen) eine Radiosendung. Zu meiner Radiosendung gehört ein Konzertkalender, wo ich möglichst alle Konzerte aus der Region mit Hörprobe kurz ankündige. Die Antwort auf die Frage, ob ein klassisches Konzert vergleichbar mit einem Diskjockey-Set oder anderen Pop-Konzerten ist, entscheidet über echte Sendezeit. Nun habe ich den Anspruch, dass die Entscheidung über Ankündigung und Nichtankündigung gerecht fallen muss. Die Konzertkritik muss über meine eigene Meinung hinausgehen und offenlegen, nach welchen formalen Prinzipien und Regeln sie vorgeht. Die Beschreibung und die Offenlegung der Regeln wird in dem speziellen Fall zur Maßschnur für den Veranstalter. Der Veranstalter lernt aus den Regeln, wann sich die Information über eine bestimmte Veranstaltung lohnt und wann sie sich nicht lohnt.
Dies Prinzip gilt aber auch allgemein. Mit der Beschreibung und Offenlegung der Regeln einer Kunstkritik mache ich die Kunstkritik gerechter, selbst wenn sie zu einem vernichtenden Urteil führt.
Damit eine Kunstkritik gerecht sein kann, muss die neutrale Beschreibung ein sehr großes Gewicht in der Kritik haben. Das abschließende Urteil des Kritikers ist in einer guten Kritik nicht so wichtig. Im Prinzip sind Kritiken denkbar, die ohne explizites Urteil des Kritikers auskommen. Das Urteil in einer Kritik ist weniger wichtig, insbesondere wenn man eine Kritik mit einer Schmährede oder einer Hymne vergleicht. In einer Hymne wird die Lob des Autors zur Autorität erhoben, gleiches gilt für den Spott in einer Schmährede. Auch bei einer Meinungsäußerung hat die Meinung des Schreibers einen hohen Stellenwert, so dass eine gute Meinungsäußerung mit ihren verschiedenen rhetorischen Tricks und Fallen oft keine gute Kritik darstellt.
Abschließend lässt sich sagen: Weil die Kritik der Entscheidungsfindung dient, muss sie ihre eigenen Regeln nachvollziehbar offenlegen und das Objekt seiner Kritik beschreiben.


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1. Artikel von Daniel Costantino
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der zweck einer kunstkritik, in meinem falle textkritik, ist das urteilen selbst. ich muss schärfe des verstandes und intensität der empfindung entwickeln, um mich überhaupt in die lage zu versetzen. ich muss wahrheit suchen, zu klarheit kommen. ein fortgesetzter prozess. ich messe gewiss ein literarisches erzeugnis nur höchst sekundär, wenn überhaupt, am stoff. ich messe es am ästetischen anspruch, an seiner sprache, daran, ob seele in die struktur fliesst oder nicht. ob die schöpfung der welt oder ein relativ unbedeutendes ereignis wie ein waldspaziergang dargestellt werden, ist kein kriterium für mich: entscheidend alleine, wie der autor es schildert. um das wort vom gutachten aufzugreifen: ein guter arzt wird sich schützend vor seinen patienten stellen, durchaus parteiisch für den kranken sich ins zeug legen. gutachten, aufgrund derer ein richter- oder polit- oder ärztegremium entscheiden kann, wie es will, dienen bloss der erreichung einer hinter verschlossenen türe ausbaldowerten quote. und deren wurstige kriterien bleiben - geheim. eine kritik, die sich des lobs oder des tadels enthält, stützt die herrschenden verhältnisse, macht sich zum komplizen der korruption. der geistigen hier, in unserm falle. und der seelischen. und verdient den namen nicht einmal. kritik ist die kunst der beurteilung. und kunstkritik soll beurteilen, ob ein werk kunst ist oder ob es sich um blosse imitation, stümperhaftigkeit oder kitsch handelt. was kann es gradlinigeres geben, als einander zu sagen, was man denkt und fühlt, was man wirklich denkt und fühlt?
und wie müsste ich etwa hesse gerecht zu werden haben, an eines seiner gedichte knüpft sich ja unsre diskussion? der hat doch genug eingeheimst und ist lange tot. oder etwa grass, dessen schreibe ('vom häuten der zwiebel') ich entlarve als eine unsäglich rührselige, verkitschte, ja unredliche art, geld zu verdienen? wird es ihm schaden? da lachen ja die hühner. nein nein, man soll die dinge beim namen nennen, für anderes ist das leben viel zu schade. lesen ist eine sehr kreative auseinandersetzung mit dem autor, in einer einszueins-situation. klar, dass ich der massstab bin. meine erfahrungen mit der sprache, dem denken, dem leben gegen die seine. er kann an mir scheitern. oder ich an ihm. dann soll man mir meine lächerlichkeit vor augen führen. und immer schön dem ästetischen gegenstand, der sprache nach.
dass sie zum erwähnten hesse-gedicht keine stellung nehmen wollen, verstört mich. wie muss man ein expliziter hesse-kenner sein, um dies einzelne gedicht zu beurteilen? sind doch nur ein paar strofen, in sich ein vollendetes werk. jedes kind kann doch sagen, was ihm dazu einfällt!
einverstanden bin ich nur mit ihrem schlusssatz.

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2. Artikel von Dieter Porth
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Was ist eine gute Kunstkritik?
- Zweck einer Kunstkritik -
Der Schlusssatz lautete: "Weil die Kritik der Entscheidungsfindung dient, muss sie ihre eigenen Regeln nachvollziehbar offenlegen und das Objekt seiner Kritik beschreiben."
Wenn sie mit dem Schlusssatz einverstanden sind, dann sind wir uns über den Zweck einer Kunstkritik einig - egal, ob die Kunstkritik nun im Konzertbereich, im Theaterbereich oder im Textbereich oder auch im Bereich der bildenden Künste angesiedelt ist. Die Kunstkritik soll den Leser der Kritik bei der Entscheidungsfindung helfen. Sie muss beschreiben und ihre eigenen Regeln offen legen.

Ein großer Meinungsunterschied zwischen uns beiden liegt in der Herangehensweise an einer Kritik. Ich habe sie so verstanden, dass sie bei Beginn einer Kritik von der Wirkung ausgehen, die ein Text auf sie ausübt. Sie nähern sich als persönlich einem Werk. Ich nähere mich dagegen von der Beschreibung dem Objekt der Kritik. Dieser Unterschied ist grundsätzlich, wobei beide Formen ihre Vor- und Nachteile haben. Der Unterschied ist so grundsätzlich, wie der Unterschied in der Denkkultur zwischen Naturwissenschaften und Geisteswissenschaften. [Anmerkung: Dabei haben die heutigen Naturwissenschaften im Vergleich zur Denkkultur am Anfang des letzten Jahrhunderts viel verloren. Auf die Begründung komme ich am Ende dieses Disputs kurz zurück.]
Der Unterschied lässt sich vielleicht auch an einem Zitat aus ihrem Text festmachen: "... ich messe es [das Objetkt der Kritik] am ästetischen anspruch, an seiner sprache, daran, ob seele in die struktur fliesst oder nicht. ...". Ich würde in dem Text nach Merkmalen suchen, die bestimmten ästhetischen Ansprüchen zuzuordnen sind und prüfen, wie stark sich das Kunstwerk von anderen Objekten abgrenzt.
Im Bereich der Denkstrategien gibt es kein richtig oder falsch. Für mich gibt es übrigens auch keine Wahrheit, sondern bestenfalls viele Querverweise. Ich sehe diese Diskussion als Möglichkeit, die Grenzen, die Stärken, die Schwächen und die Anwendungsgebiete der beiden Herangehensweisen auszuloten. Doch ich möchte nur langsam und sorgfältig vorgehen. Im folgenden werde ich mich auf die Unterschiede im formalen Aufbau der Kritik beschränken, da ich glaube, dass sie in einer Kritik die Schwerpunkte anders als ich setzen würden. Als Anlass möchte ich den typischen Aufbau meiner Kritiken beschreiben, die bestimmte Aspekte meines denken widerspiegeln.

--- Wie kann eine Kritik aufgebaut werden ---
Bei den Konzertkritiken gehe ich üblicherweise immer von dem beschreibenden Element aus. Dabei beobachte ich während des Konzerts mehrere Aspekte. Dabei ergeben sich aus der Beschreibung der Aspekte bestimmte natürliche Implikationen. am Ende wird geschaut, ob die verschiedenen Aspekte zusammenpassen. Wenn dies der Fall ist, dann ist das Kunstwerk gut, gelungen und durchdacht, selbst wenn ich persönlich es abscheulich finde.
Ich möchte dies an einem Beispiel verdeutlichen. Bei einer Konzertkritik beschreibe ich üblicherweise vier Dinge: die musikalische Stilrichtung, das Verhalten der Musiker auf der Bühne, die Inszenierung des Konzerts und das Verhalten des Publikums. Anschließend werden zwischen den Handlungen und den Rückkopplungen mit dem Publikum Beziehungen hergestellt. Beispielsweise ist Free-Jazz sehr anstrengend, weil man nie weiß, was in der nächsten Sekunde kommt. Wenn man jedoch der Free-Jazz als Untermalung zu einem Film entsteht, dann wirkt die Improvisation manchmal sogar bereichernd. Hier passen Inszenierung und Musik gut zusammen. Normalerweise gleiche ich diese Passigkeit immer noch mit der Reaktion des Publikums ab. Wenn das Publikum während des Konzerts redete, dann hat die Musik ihren Zweck verfehlt, denn es hat das Publikum nicht unterhalten. In solchen Fällen kann man bestenfalls noch überlegen, an welchen Stellen der Musiker die Kommunikation mit dem Publikum vergeigt hat. (Vielleicht hat er nur den falschen Veranstaltungsort gehabt - Beispielsweise wird ein Punkband in einer Kirche nicht unbedingt sein Stammpublikum erreichen.)
In einer Konzertkritik behandele ich als verschiedene Aspekte, wie Musikrichtung, Inszenierung des Konzerts, Art der Darbietung und die Reaktion des Publikums. Meistens behandle ich auch noch den Aspekt Merchandising, da die Kritik oft Nachwuchsbands betrifft, die in diesen Bereichen oft Schwächen haben. Gleichzeitig lege ich als Beobachter offen, wie das Publikum gewirkt hat.
Nach diesen Beschreibungen zur Musik und dem Konzert komme ich anschließend zu Verbesserungsideen, wobei ich dabei auf Erfahrungen aus früheren Konzerten zurückgreife. Diesen Aspekt nutze ich aber nur zurückhaltend, da das Kunstwerk "Konzert" in erster Linie ein Werk des Künstlers ist.
Auch bei der Beurteilung der Musik bin ich eher zurückhaltend. Nur wenn mir die Musik völlig gegen den Strich gegangen ist, dann kennzeichne ich die Einschätzung als persönliches Statement. Manchmal beschränke ich mich auch auf ein persönliches Statement - nämlich dann, wenn ich nur für kurze Zeit zum Schießen von Fotos auf dem Konzert gewesen bin. Dann fehlt mir nämlich die Zeit, um mich mit dem Kunstwerk auseinander zusetzen. Dann bin ich allein auch meinen persönlichen Eindruck angewiesen
Meine Kritik hat also immer folgenden Aufbau:
1. Beschreibung verschiedener Aspekte des Kunstwerkes
2. Herstellung von Beziehungen zwischen den verschiedenen Aspekten
3. Analyse, ob die Aspekte zusammenpassen
4. wenig: Entwicklung von Verbesserungsideen
5. selten: persönliche Bewertung des Kunstwerkes

Bei meinem Vorgehen bin ich natürlich immer auf die Reaktion des Publikums angewiesen. Das ist vielleicht ein wesentlicher Punkt, der bei Textkritiken ein anderes Vorgehen erforderlich macht. Aber auch bei literarischen Werken würde ich erwarten, dass der Kritiker Verbesserungsvorschläge macht und Fehlwirkungen aufzeigt.
Im Gegensatz zu meinem ersten Eindruck muss ich vielleicht doch zubilligen, dass man bei literarischen Werken stärker den eigenen Eindruck als Maßstab bei der Kritik verwenden muss. Aber sich bin ich mir nicht sicher. Erst einmal bin ich gespannt, wie sie ihre Kritiken aufbauen.


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3. Artikel von Daniel Costantino
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zu anfang eine präzisierung: ich bin mit den zwei letzten dritteln deines erwähnten schlusssatzes vollkommen eins: die regeln meiner kritik offenlegen, nachvollziehbar machen. den massstab (offen)legen, ja. und das objekt der kritik beschreiben (und in meinem falle: überprüfbar machen, deshalb zitiere ich ziemlich viel). ob aber die kritik uneingeschränkt oder hauptsächlich der entscheidfindung zu dienen habe - das kann ich nicht reinen herzens unterschreiben. oder doch nur in einer richtung: sie dient nämlich mir selbst, der ich sie verfasst, zur entscheidfindung, was ich vom kritisierten werk halte. welche literatur mich überhaupt stimuliert, welche mich enttäuscht. meine art, literaturkritiken zu schreiben, stellt wohl literatur grundsätzlich zur diskussion: was von ihr zu erwarten, zu erhoffen wäre. gerade deshalb messe ich den anspruch eines werkes an seiner wirkung auf mich. wobei dieser anspruch häufig auch von der literaturkritik gestellt oder als erfüllt postuliert wird. meine kritiken sind fast immer auch kritiken am literatur-, am kunstbetrieb. ich prüfe also auch, ob ein schriftsteller dem ruf, den er geniesst, auch gerecht wird, ob ein dichter die bezeichnung verdient oder nicht. ob mein leser meinen text zur entscheidfindung benutzt, bleibe dahingestellt. vielleicht stellt er ja was ganz andres damit an, nicht wahr. sollte meine arbeit dazu beitragen, sein eigenes denken und sein beurteilungsvermögen zu schärfen, wäre das ein grosses kompliment für mich. selbst dann noch, wenn seine beurteilung gegensätzlich ausfiele. ja, du hast recht: ich ordne keine ästetischen ansprüche zu, ich beurteile, ob meine ästetischen ansprüche befriedigt, vielleicht gar übertroffen werden. und glaube, diese ansprüche immer auch zu formulieren im text. und ein grosser anspruch, den ich stelle: eine künstlerische sprache ist unverwechselbar. ein künstler hinterlässt seinen daumenabdruck. er muss mir nicht zwingend was neues zu sagen haben - alles wurde vielleicht schon gesagt - aber die art und weise, wie er es tut, die muss neu, nicht austauschbar, unverwechselbar sein. dies ein wichtiges kriterium. und dann will ich nicht billig abgespeist werden. wenn einer bloss stammtischgeschwätz zum besten gibt, kann mich das nicht interessieren. dazu ist die kneipe da. wenn aber einer stammtischgeschwätz gestaltet, menschen am stammtisch beschreiben kann, dialoge inszeniert, klatsch, schablonen imitiert, ists natürlich was anderes. dann läuft das ganze auf etwas anderes hinaus, was durchaus kunst sein kann. aber hohe worte und banaler inhalt sind für mich kitsch. (siehe grass. und er scheitert auch an den hohen worten noch.) ich bringe überhaupt mein leben damit zu, mir einen persönlichen eindruck zu machen. mich interessiert die subjektivität. es gibt nicht DIE wahrheit. wir können gar nicht erfassen, was realität eigentlich sei. ich versuche, meine empfindungen zu beschreiben, eine sprache zu schreiben, die ihnen entspricht. ich unterscheide nicht einmal zwischen gefühl und verstand. für mich sind das keine gegensätze, vielleicht verschiedene aggregatszustände. das wahrste, echteste, unmissverständlichste, was ich kenne, ist die empfindung - gefühl, eindruck, ahnung sind andere worte dafür. was ich zur sprache bringe, hat dem zu entsprechen. das ist meine art, nach existentiellem, nach erkenntnis und wahrheit zu suchen. ist denken nicht selbst ein instinkt? das heisst, ich muss die sache stimmungs- und gefühlsmässig in den griff bekommen, im griff behalten. nach dieser logik (es gibt berechtigterweise auch andere logiken) entsteht meine schreibe. da ich ohne auftraggeber arbeite, verlangt niemand etwas anderes von mir. das heisst auch, dass ich die dinge aus mir heraus entwickeln muss. hier finde ich meine art zu existieren. ich habe mir nie - oder lange nicht mehr - überlegt, wie ich einen text aufbaue. eine textkritik, um bei der sache zu bleiben. es geschieht intuitiv. ich beschnüffle die sache. ich brauche tage, bis ich beginne, bis mich ein ansatz überzeugt. aber den lege ich mir nicht gedanklich zurecht. ich schreibe ein paar zeilen hin und lege das papier zur seite. ich bin nicht zufrieden. ich habe den punkt noch nicht gefunden. ich weiss überhaupt nicht, wie ich beginnen soll und wo. so geht es einige zeit. eines morgens erwache ich und schreibe die rohfassung des textes. oder einen guten teil davon, im wissen, wie es weitergehen kann. vielleicht schenkt mirs der herr im schlaf. plötzlich ist alles da und ich bin mitten im geschehen. du kannst deinen aufbau genau in fünf punkten auflisten und benennen. ich glaube, ich würde schummeln, versuchte ichs. das muster wird einfach da sein, in mir selbst mittlerweilen, mein stil, meine zwei drei möglichkeiten, die ich mir in zwanzig jahren erarbeitet habe, ich achte nicht mehr darauf. ein abbild meines (literarischen) wesens. was weiss ich! meine versuche, einem werke 'gerecht' zu werden, halten sich gewiss in engen grenzen. ich versuche, die aspekte (oder sogar nur einen?), die mich interessieren, zu durchdringen. mir einen text, den ich behandle, einzuverleiben. wie nahrung: wonach schmeckt er, riecht er mir, wie verdaue ich ihn? deine aspekte unter punkt eins ergeben sich mir vielleicht entlang der nervlichen, stimmungsmässigen berührungspunkte. oder abstossungsreaktionen. ich zeige also gewiss, wie ich auf einen text reagiere. das will ich darstellen. heureka! herstellung von beziehungen zwischen den aspekten? tönt sehr, sehr teoretisch für mich. glaube nicht, dass ich sowas denke beim schreiben. analyse ja, doch: indem ich beurteile. die machart offenlege, begrüsse oder blossstelle. denke, das kann was mit sprachanalyse zu tun haben. mit sprachkritik. genau: meine textkritik ist immer auch sprachkritik! verbesserungsideen: nee, in meinem falle nicht. das buch ist ja geschrieben, und es hat mich keiner um rat gefragt. ja, klar, persönliche bewertung. aufgrund der oben dargelegten kriterien. oder jenen, die ich im text selber aufstelle. die hauptsache ist schon die sprache: scheitert ein schriftsteller daran, am wichtigsten, was er zu seinem berufe hat, kann er mir eigentlich nichts erzählen. (immer unter dem aspekt kunst. an ein sachbuch stelle ich nicht dieselben hohen ansprüche diesbezüglich). am schluss dann häufig das urteil: gut oder ausgezeichnet: ein dichter! oder ein dilettant. durchschnittskost. kein grosser. oder noch ganz anderes. eine ganz wichtige sache: die sinnlichkeit. ohne die kommt meiner meinung nach keine kunst aus. (kriterien: anschaulichkeit, farbe, stimmung, ausdruckskraft, wortschatz....) fehlwirkungen aufzeigen, schreibst du. ein literaturkritiker soll dir fehlwirkungen aufzeigen. ich glaube, das mache ich. manche, die als dichter austrompetet werden, schlagen bloss die sprache tot. ich beanstande also, dass man sie lobt. und zeige, wie verkitscht ihre sprache ist, spiessig, dummmachend und antierotisch. damit kriegen meine kritiken häufig auch eine stark gesellschaftskritische tendenz. ich analysiere oft ebenso den mainstream, die oberflächlichkeit und die verlogenheit unserer zeit. und damit, wie ich glaube, das, was uns niedermacht.


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4. Artikel von Dieter Porth
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--- Zweck einer Kunstkritik ---
Wenn ich das richtig verstanden habe, ist für Dich die Kritik insbesondere auch eine Darlegung des "Selbstfindungsprozesses". Dabei steht die Auseinandersetzung mit dem Kunstwerk im Vordergrund, die Prüfung mit den eigenen Vorstellungen, Gefühlen und Empfindungen. Dabei stellst du als "Messwerkzeug" deine eigene Person in den Vordergrund. Neben der Selbstfindung lese ich aus deinem Text auch das Ziel nach Verortung heraus, wie das folgende Zitat zeigt: " ... ich prüfe also auch, ob ein schriftsteller dem ruf, den er geniesst, auch gerecht wird, ob ein dichter die bezeichnung verdient oder nicht. ...".
Gerade dieser Begriff der Verortung hat mich schon früher an den Geisteswissenschaftlern gestört. Der Begriff hat dabei zwei Bedeutungsebenen. Einmal meint er natürlich, dass man als Kritiker ein Kunstwerk oder einen Text nur aus einer Sicht darstellen kann. Mit der Verortung stellt man fest, welcher Aspekt das ist. Der Begriff Verortung hat aber auch eine soziologische Bedeutung. Mit seiner eigenen Verortung legt man festlegt, welcher Meinung man in der wissenschaftlichen Gemeinschaft gewogen ist und welcher nicht. Verortung ist also gleichzeitig eine Meinungsbekundung und führt zur Parteienbildung innerhalb einer Gemeinschaft. Mit deiner oft geäußerten Kritik am Kulturbetrieb suchst nach meinem Eindruck deinen Platz innerhalb des Kulturbetriebes zu erkämpfen - denn auch eine Kritik an den Kritikern ist ein Kommunizieren mit den Kritikern.
Mit der Verortung zeigst du aber gleichzeitig auch, welchen Zweck deine Kritiken haben. Du suchst einen Platz innerhalb der Gemeinschaft der Kritiker. Für die Bestimmung des Zwecks ist es egal, ob deine Kritik gelesen wird oder nicht. Für die Bestimmung des Zweck ist meiner Ansicht immer nur wichtig, welche Absicht du mit der Arbeit und deren Veröffentlichung verfolgt. (P.S. Auch ich werde für meine veröffentlichten Konzertberichte nicht bezahlt, und bin so ersteinmal nur mir selbst verpflichtet. Aber mir ist es wichtig, zu wissen, warum ich die Texte veröffentliche, denn jede Veröffentlichung hat eine Wirkung - wie diese Auseinandersetzung zeigt.)
Ich möchte noch einmal auf den Begriff Verortung zurückkommen. Der Begriff der Verortung hatte und hat für mich einen unangenehmen Beiklang. Er impliziert, das es - auch bei der Literaturkritik - keine absolute Wahrheit geben kann. Dem stimme ich zu; denn selbst in den Naturwissenschaften kann es niemals eine absolute Wahrheit geben. Aber zurück zum Begriff Verortung und dem Bild der multiplen Wahrheiten. Für manchen macht die Nichtexistenz einer absoluten Wahrheit eine systematische Darstellung überflüssig und wertlos wird. Diese Folgerung halte ich für falsch, denn eine Systematik ist ein sehr effizientes Erinnerungssystem, in welchem man seine Erfahrungen und Erkenntnisse gießt und verfügbar hält. Systematik ist eine mächtige Denksprache, die in vielen Lebenslagen hilfreich sein kann.
Du schreibst, dass du dich lange mit einem Problem auseinandersetzt, wobei durchaus mehrere Tage vergehen können, bevor du eine Sache wirklich durchdrungen hast. Dies geht mir bei Dingen, wo ich mich überhaupt nicht auskenne ähnlich. Aber ich bemühe mich schon bald, für diese Dinge eine Systematik zu entwickeln. Anschließend beginne ich zu prüfen, ob die Systematik die Wirklichkeit angemessen beschreibt. Wenn sie es nicht tut, dann muss ich die Systematik ändern. Für mich ist also nicht nur die Auseinandersetzung mit dem Kunstwerk wichtig, sondern auch die Auseinadersetzung mit der Systematik. Diese Systematik ist später hilfreich, wenn ich die nächste Kritik schreibe. Diesen Aspekt des Meta-Lernens vermisse ich bei deinen Ausführungen.
Die Verwendung von systematischen Darstellung hat auch einen Nachteil; man muss häufiger prüfen, ob die gewählte systematische Darstellung überhaupt noch sinnvoll ist. Hier stellt sich die Frage, wie man das macht. Nach langen Nachdenken über Kreativität und gute wissenschaftliche Theorien bin ich irgendwann für naturwissenschaftliche Theorien zu dem Schluss gekommen, dass eine Theorie immer dann gut ist, wenn sie (1)bestimmte Aspekte der Erfahrung (2)mit einem überschaubaren Theoriesystem (3)mit gewünschter Zweckmäßigkeit beherrscht werden können. Wissenschaftliche Theorien sind schlecht, wenn einer der drei Aspekte schwach repräsentiert ist. Beispielsweise ist die Urknalltheorie schlecht, weil die Erfahrungen eher dürftig sind. Beispielsweise sind viele philosophische Überlegungen schlecht, weil ihre theoretische Rahmen oft zu kompliziert ist. Manches Kunstwerk wie auch manche wissenschaftliche Arbeit ist schlecht, wenn man nicht erkennt, welchen Zweck und/oder Ziel das Ganze verfolgt.
Da die Naturwissenschaften die Wirklichkeit beschreiben versuchen, so wie Kunstwerke Gefühle und Stimmungen beschreiben versuchen, glaube ich, dass analog auch gute Kunstwerke die (1)"realen Erfahrungen des Einzelnen" (2)"mit einfachen und treffenden Mitteln" (3)"für eine bestimmte Zielgruppe" darstellen will. In einer systematischen Kritik muss ich also prüfen, inwieweit der Künstler dieses schafft. Für eine gute Kunstkritik stelle ich also das Kunstwerk dar und prüfe, ob der Künstler sein (unterstelltes) Ziel erreicht. Die systematische Struktur hilft mir, nichts wesentliches zu vergessen. denn die Systematik ist nur der Rahmen für meine Gedankengänge.

--- Wie kann eine Kritik aufgebaut werden ---
Du schreibst, dass du konstruktive Kritik und Verbesserungsvorschläge nicht einfließen lässt. Das ist immer auch eine Frage des eigenen Stils. das Kommunikationsmodell von Schulz von Thun besagt, dass jede Kommunikation immer vier Aspekte transportiert. Dies bedeutet bei Verbesserungsvorschlägen folgendes
a) die sachliche Information ("Das hätte man so anders machen können.")
b) Selbstdarstellung ("Ich habe das Zeug zum Schriftsteller, Musiker, Künstler! :-) )
c) Aufforderungscharakter ("Bei nächsten Auftritt könntest du so besser wirken.")
d) Beziehungsaspekt (" Da ich dir einen Verbesserungsvorschlag anbiete, befinden wir uns auf gleicher Augenhöhe")
Ein Verbesserungsvorschlag ist eigentlich eine sanfte Form der Kritik, wo ich auf der gleichen Augenhöhe mit dem Künstler zu bleiben versuche. (Das ist mir wichtig, da ich mit meinen Kritik im Nachwuchsbereich eine Verbesserung der Konzertkultur bewirken möchte. Dies erreicht man nur seltener, wenn man statt der Kumpelposition eine Oberlehrerposition einnehmen würde.) Die Wahl der Mittel ist also immer durch den Zweck bestimmt.

Trotz der scheinbaren Rationalität bin ich ein sehr empfindsamer Mensch, der viele Entscheidungen intuitiv fällt und viele Überlegungen spontan anstellt. Da unterscheide ich mich wahrscheinlich nicht wesentlich von dir. Ohne Spontaneität lässt sich keine Innovation entwickeln, so wie das Vergessen zum Lernen führt.
Ein systematischer Aufbau meiner Kritiken ist für mich also lediglich ein Mittel effizient mit meinem Denkmuskel umzugehen.
Aber auch du hast doch starke Ansätze zur Systematik, wenn du schreibst: "... eine ganz wichtige sache: die sinnlichkeit. ohne die kommt meiner meinung nach keine kunst aus. (kriterien: anschaulichkeit, farbe, stimmung, ausdruckskraft, wortschatz....) ...". Wenn du jetzt überlegen würdest, ob es Wichtigkeitsunterschiede zwischen den Kriterien gibt und ob bestimmte Beziehungen zwischen Kriterien bestehen, und wenn du für den Leser ein "einheitliche" Reihenfolge festlegen würdest, dann würdest du deine Artikel strukturieren ähnlich wie ich mein Artikel strukturiere.


--- 1. Nachfrage ---
Ich habe oben Schulz von Thun erwähnt. Jede Kritik ist immer auch eine Selbstdarstellung. Reich-Ranicki soll ein Meister der Selbstdarstellung sein. (Ich habe ihn nie gelesen.) Ich würde bei meinen Konzert-Kritiken folgende Bewertungen vornehmen:
a) Sachinformation (wenig aussagekräftig, aber systematisch)
b) Selbstdarstellung ("Ich schaue mir genau die Kommunikation zwischen Musiker und Publikum an.")
c) Aufforderungscharakter (Musiker: was ist gut/schlecht? - Zuschauer/Leser: Lohnt sich der Besuch?)
d) Beziehungsaspekt (Musiker: Ich stehe auch eurer Seite! - Zuschauer/Leser: ???)
Wie würdest du deine Kritiken unter dem Kommunikationsmodell bewerten? Wie möchtest du gelesen werden?


--- 2. Nachfrage ---
Ich habe während meiner Doktorarbeit einen sehr speziellen Zugang zur "Sprache" bekommen. Für mich ist die Grammatik/ die Rhetorik wichtiger und manipulierender als das eigentliche Wort
Was ist für dich Sprachkritik?

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5. Daniel Costantino
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ja, messwerkzeug eigne person - es gibt in meinem kopf bestimmte kriterien, was eine gute sprache sei. durch vieles üben, nachahmen, korrigieren, nachdenken und weiterentwickeln habe ich selbst zu einer sprache gefunden, mit der ich einen text, wie ich glaube, recht anschaulich, flüssig und interessant gestalten kann und die es mir erlaubt, andern beim schreiben mit einer gewissen kompetenz auf die pfoten zu schauen. ich bin also selber schreiberling und kenne die bedingungen des geschäfts. abschottung von störenden einflüssen, verflachung der sprache, beliebigkeit, konjunktur der modewörter, parolen, inflation, mainstream der medien - es braucht ruhe und konzentration, einen stil zu entwickeln. das berühmte leere, weisse blatt papier. das beste aus sich herausholen. ob in einer buchkritik oder einer eignen kurzgeschichte. ob artikel oder roman, meinung oder kunst, gedicht oder pamflet. undsoweiter. ich will bei allem meine eigne autorität sein oder werden. klar gibt es einflüsse, schlechte und gute, beste. ein sprachkünstler muss die sprache wie ein instrument führen. aber er kann es nicht an einer hochschule für musik erlernen, wo ihm etwa die intonation des belcanto samt stimmtraining und -hygiene und die richtige interpretation mozartscher arien oder schubertscher lieder beigebracht werden. er ist selbst der komponist, komponist und interpret. er wird gut beraten sein, an der ausdruckskraft seiner verben zu feilen, seine sprache von allerlei mist zu entschlacken, zu verschlanken und ökonomisch zur sache zu gehen, das heisst sich von kompliziertheiten zu emanzipieren und nur halbgedachten gedanken, für die er zehn seiten braucht, ohne zu klarheit zu kommen, indes ein andrer sie auf einer halben seite auf den punkt bringt. solches - und vieles andere mehr! - könnte ich selbstfinder natürlich als sachliche kriterien ausgeben, und ich möchte den erleben, der mir fundiert widerspräche. aber es sind weit mehr als sachliche kriterien nur: es sind die voraussetzungen, die sprache zu einem kunstwerkzeug zu erheben.
meine person steht als messwerkzeug im vordergrund. zu meiner person gehören die genannten dinge. ich bin ein praktiker der sprache. das konzept sprachkunst steckt in meinem kopf wie etwa deutsch, das ich beherrsche, aber viele seiner grammatischen regeln nicht zu sagen wüsste, da sie seit kindheitstagen verinnerlicht sind.
einem schriftsteller der gegenwart, über den ich schreibe, schaue ich beim schreiben, beim denken, beim mogeln und kaschieren zu. ich kenne meine pappenheimer, weil ich selbst einer bin. und ich bin der bewunderung ebenso fähig. ich applaudiere auch. aber nicht sowieso.
ich kann mit deinem vergleich zwischen geistes- und naturwissenschaften nicht schritthalten. ich habe nur gesang studiert und sonst garnichts. ich denke bei deinem wort verortung daran, dass ich verorte, ob ein schriftsteller ein künstler sei, ob es kunst sein könne, so zu schreiben, wie er schreibt. und wenn nicht kunst, ob er sein handwerk redlich betreibe. nicht nur, natürlich: ich kritisiere schon mal auch einen text ratzingers, da geht es um den begriff wahrheit und wahn. um schaumschlägerei und hohle moral. um lüge und sektenpropaganda undsofort. aber weit weg ist das keineswegs. die genannten begriffe spielen überhaupt in meiner art der sprachkritik eine rolle. vielleicht eine art aufklärung...(ich verorte mich in meinen gesellschaftskritischen elaboraten klar: als kritiker der machtausübung.)
es kann nicht eigentlich um die meinung an sich gehen, die ein schriftsteller vertritt. das ist sekundär. es geht mir in der analyse, ob es sich um kunst handle oder nicht, um die art und weise, wie einer schreibt. die weltanschauung ist kein kriterium hiefür. damit wir uns recht verstehen.
ob ich nun meine meinung bekunde, was kunst denn sei, sprachkunst? ich kanns dir nicht widerlegen. aber meinung ist ein so beliebiges wort! ich glaube nicht, dass ich die oberflächlichkeit anstrebe. meinung kann sehr billig sein, sehr wohlfeil, häufig nichts als blosses nachgeplapper. (das war ein einwand der sprachkritik. ich komme aufs wort noch zu sprechen).
vielleicht hast du ebendies hier angetönt:

Für manchen macht die Nichtexistenz einer absoluten Wahrheit eine systematische Darstellung überflüssig und wertlos wird.

ich verstehe die stelle nicht ganz, vielleicht ist da was im eifer des gefechtes weggefallen. (als lehrer würd ich sagen: der satz ist unvollständig geblieben. als kritiker vielleicht: schlechtes lektorat!)
dein abschnitt über systematik und wirklichkeit und meta-lernen ist mir zu teoretisch, kann ihn nicht wirklich verstehen. glaube nicht, dass ich solches betreibe in deinem sinne. du vermisst den aspekt des metalernens bei mir wohl zurecht. zwei dinge aber fallen mir hier auf: es gehe dir ähnlich bei dingen, wo du dich nicht auskennst. (mehrere tage, bis die sache durchdrungen).
das läuft bei mir einfach so. ich kann auf kommando schreiben, dies hatte ich unter beweis gestellt, als ich in den 80-iger und 90-iger jahren für ein lokalradio arbeitete und man ein paarmal einen beitrag innert zweier stunden erbat. aber dann ist das tema vorgegeben und der druck riesig. da habe ich keine zeit mehr, hinundher zu überlegen. dann ist schreiben wie reden, improvisieren. aber wenn ich mir selbst was auferlege, und dies ist seit einigen jahren ausschliesslich so, dann vergeht eben zeit, bis ich die innere überzeugung gewonnen habe, meinen punkt gefunden habe, von wo aus ich schreiben und argumentieren will. dann wimmelts in meinem kopf von einwänden und befürchtungen.
ob die sytematik die wirklichkeit angemessen beschreibt, sagst du. das ist es eben: die wirklichkeit! welche soll ich aussuchen? und eigentlich ist alles wirklich, ununterscheidbar wirklich, chaotisch, irisierend, vision, erscheinen uns träume und bilder, stehn wir verflochten in beziehungen und situationen, streift uns die monotonie, das alleinsein, der überdruss, feiern wir feste und tage, kennen wir wonne und ängste, hoffnung und zweifel, lügen und spekulationen und dämmerhafte erkenntnis, irrtum und schuld kommt hinzu, ärger und freude, gefühle und konflikte und probleme.
was ist die wirklichkeit eines romans? das leben selbst. wohlan, das leben will ich schaffen!
will sagen: wie bemisst du die wirklichkeit einer fiktion? und was andres wäre ein roman, sag mir? fantasie, fantasie! schreibend hergestellt.
wir haben es in der literatur mit künstlich und im besten falle künstlerisch erzeugtem leben zu tun.
'wirklichkeit' in einem roman - spürbares, echtes lebensgefühl!

die 'guten kunstwerke', wie du schreibst, müssen überhaupt nichts mit 'realen erfahrungen des einzelnen' zu tun haben. sie können natürlich. aber sie müssen erlebbar sein. ich kann also, lesend, etwas erleben, was ich gar nicht erlebt habe bisher. und auch der autor muss nichts von sich aus 'reales' beschreiben. er erfindet ja. schreiben ist ein erfindungsprozess. und lesen auch.

um eine 'zielgruppe' muss es nicht gehen. das ist kein kriterium der kunst. höchstens die situation des schreibers, der sich irgendwas vorstellt, einen bestimmten leser vielleicht, schemenhaft sicher oft und verschwommen. herrn meyer, seinen nachbarn. oder die menschheit an sich. was immer das sei. (oder eben andere kritiker, da hast du recht).
um zwischendurch einen gedanken loszuwerden: system, systematik. ein gesangsschüler lernt mit viel systematik. umfang, farbe, stütze. legato, piano, forte. ansatzrohr, brust, bauch. mittellage, spitzentöne, die tiefen. geschmeidigkeit, glanz und gloria. er denkt an hundert sachen beim üben. er kontrolliert, wiederholt, verbessert. er unterhält innere warnblinkanlagen. er ist sein dompteur. sein richter und henker. mit den jahren beginnt er, sich freier zu fühlen. er hat die fehleinstellungen korrigiert, die stimmlippen, der kehlkopf, die atmung funktioniert traumwandlerisch vollkommen und richtig, er hat seine klangräume gefunden, sein legato auf sicher, den umfang im schlaf - singen ist zu seiner zweiten natur geworden. er kann wieder unbeschwert singen wie jeder. nur eben schöner jetzt und mächtiger.
so geht es dem künstler, der sein handwerk beherrscht. frage ihn nach der systematik! er hat die tabelle gelesen, nach und nach aufgefressen und verdaut. er weiss nicht mehr, was alles draufgestanden hat.
und so geht es mir, am beispiel der literaturkritik. ich verlasse mich auf vieles, was ich einmal durchdacht oder tief empfunden und nun als aufzählbares traktandum vergessen habe. mit der systematik vermag ich dir nicht paroli zu bieten. ich versuche sogar, wo sie sich ansatzweise bemerkbar macht, sie zu verscheuchen! zuviel teorie, schreiben ist praxis. (und meine kritiken plaudern aus der schule.)

ich glaube nicht, dass es wichtigkeitsunterschiede zwischen meinen entscheidenden kriterien noch gäbe. aber ich habe deinen begriff vom strukturieren jetzt begriffen. mal mangelt es dem martin walser an wortschatz, bald an ausdruckskraft. dem dürrenmatt an akzeptablem deutsch. dafür konstruiert er die stories tadellos, wie auch walser, aber das ist schon nicht mehr entscheidend. und bei grass vermisse ich überhaupt alles dergleichen. ich beanstande, wo es etwas zu beanstanden gibt. ich bin ungerecht. ich verreisse, wenn einer den entscheidenden künstlerischen kriterien nicht standhält. ich lobe, juble, wenn die sache gländzend geschrieben. mag einer mängel haben irgendwo, wenn er sie nur nicht in seiner sprache hat. es kommt also auf den autor an, welche punkte nun genau ich aufliste. und, wie schon gesagt, vielleicht auch auf andere kritiken. dann untersuche ich die sache auch im hinblick darauf. aber füge stets das eigene auch bei.
also reich-ranicki muss man sehen. dort ist er ein meister seiner selbst. ich habe seine biografie gelesen. gut geschrieben, es ist recht. aber kein herausragendes literarisches niveau. einfach gutes deutsch.

zu guter letzt, deine nachfragen:
wie möchte ich gelesen werden. oder wie bewerte ich unter deinem modell meine kritiken -
a. 1.sachinformationen. über den autor und seine bedeutung. nahe null. über sein leben nichts. oder wenn mich grad der teufel reitet. muss jedenfalls nicht dazugehören. 2. kurze zusammenfassung des werks. bei gedichten nicht, die hat man ja grad selbst vor augen. 3. ich zitiere die inkriminierten stellen. die guten auch.
b. selbstdarstellung. meine eigene schreibe muss ausgezeichnet sein. ich hoffe, dass dies manchmal ein wenig zutrifft.
c. lohnt sich das buch? man erfährt, was ich davon halte. ja, unbedingt, da findet einer meine antwort. in der regel grosses lob oder grosser verriss. reisst ein werk weder im positiven noch im negativen an meinen nerven, schreibe ich nicht darüber.
d. beziehungsaspekt. ich habe bislang nur über autoren geschrieben, die ich nicht persönlich kenne. im unterschied zu meiner früheren radioarbeit, da gab es manchmal interviews oder auch beiträge in richtung gefälligkeit. leser: der typ verarscht euch. damit stehe ich auf der seite des lesers. oder: lest den unbedingt, damit empfehle ich den autor einem leser.

zur sprachkritik. ich bin geneigt, das gegenteil zu denken: das wort bedeutet mehr als die retorik. ich bin ein ausgesprochener wortkritiker. klischee, lüge, propaganda; denkkraft und ausdrucksvermögen; werte und moral und konvention; sprachschöpfung, klarheit und lauterkeit - alles im wort begründet, durchs wort offengelegt. gewiss im zusammenhang mit den andern worten ebenso, aber kaum im grammatischen und wenig im retorischen sinn. von zwei autoren, die mit der reinen aussage dasselbe sagen, ziehe ich den vor, der geschliffener schreiben kann. ich lehne einen aber ab, der mit retorik auftrumpft, aber bei lichte besehn bloss hohle frasen drischt. da lob ich mir den ehrlichen daneben, selbst wenn er ungelenk schreibt. die grösste kunstform ist für mich das gedicht. da kommt alles an den tag, was einer drauf hat oder nicht. nichts entlarvenderes als konventionelle reimerei! vom kitsch noch nicht einmal zu reden.
allerdings erlebe ich sehr selten einen autor, der geschliffen schreibt und doch durch seine worte quark erzählt. die sache erfühlt und durchdacht zu haben, prägt meist auch einen eigenen stil, setzt sich in der retorik fort. bei meinen schon erwähnten dreien zu bleiben, walser, grass und dürrenmatt: stilistisch der beste nach meinem dafürhalten der schweizer. gewiss der aufrichtigste. die begrenztheit seines darstellungsvermögens äussert sich in seiner zwar typischen, aber monotonen art, die sätze ineinanderzuschachteln nach immer demselben schema. das denken, welches dahintersteckt, ist ebenfalls zur schablone erstarrt, aus zweiter, dritter hand entliehen, im guten falle vermittlung wissenschaftlicher 'erkenntnis', im schlechten schieres stammtischgeschwätz. auch walser könnte man noch einen stilisten nennen, so man an das wort keine höheren ansprüche stellt. der stil ist ebenso windig wie das vierteldenken dieses camoufleurs. grass indes, ich bin überzeugt, setzt sich hin und notiert schlichtweg alles, was ihm zufällt, in der regel spiessiges, treppenhausgeklatsche, abklatsch des medienmainstreams. als ob er pro zeile bezahlt würde, in einer riesigen fleissarbeit, häuft er das aneinander und türmt es zu wällen auf. er ist ein intellektualistischer papagei.
am gerissensten schreibt der heilige stuhl. übung vieler jahrhunderte. im unterschiede zu den meisten sektentraktaten liest sich das zeug in ordentlichem deutsch. dort gibt es kaum eine einzelne lüge. alles ist zur verlogenheit gefroren. ein gift ersten ranges. vergleichbar noch den urteilsbegründungen richterlicher instanzen. an diesen beispielen muss sprachkritik weitergreifen und die denkweise selbst attackieren. überhaupt, seis am wort, seis anhand der frasen, formeln und behauptungen, sollte sich sprachkritik bemühen, das denken offenzulegen, die selbstverständlichen annahmen dahinter blosszulegen und zu hinterfragen.
ich halte nichts von objektivität, weil dahinter doch immer wertvorstellungen stecken. nur werden sie kaschiert. damit leistet scheinbare objektivität ihren beitrag zu dem, was nur geglaubt und nachgebetet werden kann. objektivität birgt sehr viel autoritäre macht. (sachlichkeit ist etwas anderes). machtausübung und dummhaltung der schafe durch das wort. deshalb bin ich ein sprachkritiker.
denken ist ein instinkt. wir leben in einer kultur der allgemeinen zähmung von instinkten. der dressur, gerade in sprachlicher, denkerischer, gefühlsmässiger hinsicht. der tod aller kunst.

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6. Antwort von Dieter Porth
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--- Vorbemerkung --- Zitat: " "Für manchen macht die Nichtexistenz einer absoluten Wahrheit eine systematische Darstellung überflüssig und wertlos wird." ich verstehe die stelle [in deinem Text] nicht ganz, vielleicht ist da was im eifer des gefechtes weggefallen. (als lehrer würd ich sagen: der satz ist unvollständig geblieben. als kritiker vielleicht: schlechtes lektorat!) " Der Satz ist nicht unvollständig sondern übervoll. Es ist das letzte Wort "wird" zuviel - also schlechtes Lektorat. Insgesamt klingt der Satz auch doof und technisch. Treffender wäre vielleicht folgende Formulierung gewesen: "Mancher glaubt: Wenn es keine endgültige Wahrheit geben kann, braucht man auch keine systematische Darstellung." Als ich den Satz schrieb, hatte ich noch nicht verstanden, dass die Kritik für dich deine Auseinandersetzung mit dem Kunstwerk ist.
 
--- Ausblick ---
Dieser Streitdialog wird sicher nie zu einer idealen Kunstkritik oder einer Einigung führen, aber schon jetzt fallen mir bestimmte Aspekte auf, die mir früher nie so bewusst waren. Der Streitdialog führt zum Überdenken und Hinterfragen der eigenen Position. Gleichzeitig ändert sich die eigene Position im Laufe der Zeit. Aus diesem Grunde mache ich an dieser Stelle ersteinmal einen Rückblick, bevor ich auf deinen Text eingehe. Anschließend versuche ich einen Rückblick auf deine bisherigen Artikel und beschäftige mich dann mit der Frage, was eine gute Kunstkritik ist. Im letzten Teil gehe dann auf die "Sprachkritik" ein.
 
--- Zwischenrückblick auf meine Position ---
In den bisherigen Artikeln habe ich drei Aspekte Zielgruppe, systematischer Aufbau  und Wichtigkeit der Bewertung angeschnitten, die mir wichtig sind. Meine Zielgruppe sind die Leser, denen ich mit der Kritik einen Eindruck von dem Kunstwerk geben möchte. Dabei will ich insbesondere den uniformierten Leser ansprechen, der sich selbst mit dem Werk nicht auseinandergesetzt hat. Für die Kritik benutze ich einen systematischen Aufbau. Dieser soll für möglichst viele "ähnliche" Kunstwerke passen, um dem Leser einen Vergleich über die Vielfalt der Kunstwerke zu ermöglichen. Die Bewertung des Kunstwerks ist zweitrangig. Dabei halte ich im Vergleich zu pauschalen Urteilen Verbesserungsvorschläge für die konstruktivere Kritikform. (Dies ergibt sich daraus, dass sich meine Verbesserungsvorschläge auf "handwerkliche" Fehler bei Nachwuchsmusiker beziehen.)
 
--- Zwischensicht auf deine Position ---
Aus deinen Artikeln habe ich dich wie folgt verstanden. Für dich steht das Kunstwerk als eigenständiges Werk im Vordergrund deiner Kritik. Dabei ist es dir wichtig, wie das Kunstobjekt, also der Text oder das Gedicht, auf dich wirkt. Nach meinem Eindruck lehnst du deshalb Systematiken bei dem Aufbau deiner Kritik ab. Die Leser deiner Kritik sind für dich nicht so wichtig.. Für dich ist die Kritik das Resultat deiner Auseinandersetzung mit dem Kunstwerk. Du nimmst das Kunstwerk aus deiner Position wahr und prüfst, ob das Kunstobjekt für dich gut ist. Dabei spielen deine Erwartungen und deine Erfahrungen eine wesentliche Rolle und du näherst dich dem Kunstwerk als "fremder" Künstler. Nach meinem Eindruck willst du über die Kritik von dem anderen Künstler lernen. Deshalb ist dir die abschließende Bewertung wichtig, da deine Kritik in erster Linie deine Auseinandersetzung mit dem Kunstwerk beschreibt. In deiner Kritik stellst du deine Werte zur Kunst selbst als "ultimativ" dar, was bei einem Lernprozess auch nicht anders möglich ist. Deine Ausführungen zu Qualität der Sprache machen deutlich, dass für dich deine Kritik gleichzeitig auch ein Kunstwerk ist.
Dies habe ich aus deinen Texten herausgelesen. Ich bin mir unsicher, ob ich alles angemessen verstanden und zusammengefasst habe.
 
--- Zu den Kommunikationsebenen. ---
Ich glaube, an der Stelle hast du das theoretische Konzept falsch verstanden. Es geht davon aus, dass "niemand nicht kommunizieren" kann. Gleichzeitig gibt das Modell Anhaltspunkte, wie Aussagen und fehlende Aussagen wahrgenommen werden können. Die Selbstanalyse ist an dieser Stelle immer schwierig. Ich versuche hier darzulegen, wie ich derzeit deine Kritiken auf den vier Ebenen wahrnehmen würde.
- Sachinformation:
Wenn du ein ganzes Gedicht oder aus einem Text die guten und schlechten Stellen zitierst, dann gehören diese Zitate beispielsweise zu den Sachinformationen. das Kunstwerk selbst ist als Sachinformation ausreichend.
- Selbstdarstellung:
Das Fehlen von Informationen ist keine Sachinformation, die deine Kritik enthält. Das Fehlen von "üblichen" Informationen sagt mehr über deine Selbstdarstellung aus. Durch das Weglassen von Informationen zur Person des Autors stellst du die Erwartung an ein Gedicht oder ein Kunstwerk, dass es für sich selbst spricht.
Nach deinen Ausführungen siehst du dich selbst als Künstler. Entsprechend machst du die positiv bzw. negativ kritisierten Künstler zu deinen eigenen "Vorbildern" oder "Antivorbildern". Die Kritik ist Teil deiner künstlerischen Entwicklung.
- Beziehungsebene:
Nach deinen bisherigen Äußerungen interpretiere ich deine Kunstkritik als das "Beiprodukt" bei der Auseinandersetzung mit dem Kunstwerk eines anderen Künstlers. Da du deine Kritik nicht für jemanden Bestimmtes schreibst, ergibt sich daraus kein Beziehungsaspekt. Trotzdem formulierst du in deiner Kritik Beziehungsaspekte, indem du manches als herausragend und manches als niederschmetternd schlecht herausstellst. Nach deinen Ausführungen siehst du dich selbst als Künstler. Entsprechend machst du die positiv bzw. negativ kritisierten Künstler zu deinen eigenen "Vorbildern" oder "Antivorbildern". Auch wenn du die Autoren nicht persönlich kennst, so du machst sie durch deine Kritik wichtig und setzt dich in Beziehung zu Ihnen. 
- Aufforderungscharakter:
Natürlich kann dein abschließendes Urteil als Leseempfehlung oder als Nicht-Leseempfehlung gewertet werden. Aber durch die unverkennbar persönlichgefärbte Darstellung deiner Kritik kann auch als Aufforderung an den Leser verstanden werden, sich selbstständig mit seinen eigenen Gedanken mit einem Kunstwerk auseinander zusetzen.
Auf Grund deines persönlichen Zugangs zur Kritik forderst du den Leser auf, deine Kunstwerke nach deinen Kriterien zu bewerten.
Deine Ausführungen zur Sprachkritik sind interessant. Angesichts deiner Ausführungen zur Sprachkritik, würde ich sogar glauben, dass das Auffordern des Lesers für das selbstständige Denken und Bewerten dir bei deinen Kritiken wichtig ist. Dies macht sich dann auch in deinen Kritiken bemerkbar, indem du dort sehr persönlich und sehr wertend argumentierst.
 
--- Was ist eine gute Kunstkritik? ---
An dieser Stelle komme ich auf meine Form Kritik zurück. Ich betrachte mich nicht als Künstler. Ich betrachte mich als Beschreibender von Kommunikationsprozessen. Ich betrachte die Konzerte immer als Versuch einer Kommunikation, die nicht auf der "gewohnten" sprachlichen Ebene läuft. Wenn die Kommunikation gut läuft, dann ist für mich das Konzert gelungen, selbst wenn mir die Musik nicht zusagt.
Zum Beispiel brauchen die Hörer von Jazzmusik eine gewisse intellektuelle Schwere und Nachdenklichkeit, um ein Konzert als gelungen wahrzunehmen.  Mir gefällt ein solcher Zugang nicht, aber ich versuchen an Hand der Reaktion der Zuschauer herauszufinden, ob ihnen die Darbietung gefallen hat oder nicht.
Aber der Kommunikationsaspekt ist mir auch bei meiner Gedichtehitliste wichtig. Da schreibt jemand auf seiner privaten Homepage ein persönliches Gedicht. Dieses Gedicht würde ich in meiner Gedichtehitliste aufnehmen, denn der Homepagebetreiber hat das Gedicht veröffentlicht, damit es gelesen wird. Ich fasse für die Hitliste den Inhalt des Gedichts in kurzen Worten zusammen. Weitere Kommentare und Bewertungen unterlasse ich meist, da die verschiedenen Autoren oft unterschiedliche Kommunikationsziele verfolgen. Ich interessiere mich dabei für die Absichten, die der Websitebetreiber mit seiner Kommunikation verfolgt. [Persönliche Anmerkung: Erst bei der vorliegenden Reflexion ist mir klar geworden, dass ich in Zukunft bei der Beschreibung mehr auf die Kommunikationsabsichten einer Website eingehen muss. Die Website Schandfleck.ch hat einen kritisch-literarischen Kommunikationsanspruch. Viele Homepages wollen einfach nur als schön bewundert werden, so dass dort oft auch "kitschige" Gedichte zu finden sind. Bei Gedichteforen geht es oft um die Bildung von Diskussionsgruppen, so dass sich dort spezifische Gedicht- und Schreibstile entwickeln, die auf Außenstehende merkwürdig bis schlecht wirken können. In solchen Foren ist die Kommunikation der Forenmitglieder untereinander wichtig, während die Außenwirkung der einzelnen Gedichte weniger wichtig ist. Wiederum auf anderen Website nutzen manche Dichter das Dichten als Therapieform. Wieder andere Seiten wollen mit Hilfe von Gedichten auf ein bestimmtes Thema aufmerksam machen. Gerade auf Tierschutzseiten finden sich häufig ein oder zwei Gedichte.
Für mich ist das Gedicht eine Sprachform, die man zum Kommunizieren benutzt. Gerade die Vielfalt der Kommunikation mit Gedichten möchte ich auf meiner Website darstellen. Dies muss ich in der Zusammenfassung der Gedichte in Zukunft deutlicher machen. Diese Anregung zur Verbesserung der Gedichtbeschreibungen nehme ich in jedem Fall aus diesem Streitdialog mit.]
 
--- Aspekt Sprachkritik ---
Da habe ich den Begriff Sprachkritik falsch verstanden. Sehr treffend definierst du dein Verständnis zum Wort Sprachkritik im folgenden Satz:
" überhaupt, seis am wort, seis anhand der frasen, formeln und behauptungen, sollte sich sprachkritik bemühen, das denken offenzulegen, die selbstverständlichen annahmen dahinter blosszulegen und zu hinterfragen."
Die Offenlegung von 'selbstverständlichen' Annahmen ist sicher ein Anspruch, den ich auch an meine Kritiken stelle. (Ob ich den Anspruch oft erfülle, steht auf einem anderen Blatt.) Im Gegensatz zu dir bin ich bei meinen Kritiken an einer Übersicht über die Vielfalt der künstlerischen Ausdrucksformen interessiert. Gerade auch auf meiner Gedichtehitliste bemühe ich mich, die kommunikative Vielfalt mit Gedichten darzustellen. Deswegen würde ich beispielsweise ein kitschiges Gedicht nicht unbedingt verreißen. Beispielsweise ist ein kitschiges Gedicht als Werbung auf einer Homepage eines Urlaubsortes sehr professionell, denn es bedient die Wünsche von einigen potentiellen Kunden und ist damit zweckgerichtet.
Das "kitschige" Gedicht als Werbung ist an dieser Stelle als motivierend zu loben. Auf einer Propagandawebsite für eine politische Richtung oder einen Sektenglauben kann das identische Gedicht schon als kritisch herausgestellt werden. Letztendlich ist das identische Gedicht als Leserprobe auf der Seite eines intellektuellen Nachwuchsautors zu verreißen, weil sich das "kitschige" Gedicht mit seiner Selbstdarstellung als intellektueller Dichter beißt. Die drei Beispiele zeigen, dass die Kommunikationsabsicht genauso wichtig wie das Kunstwerk selbst ist. Ein Kunstwerk, auch ein Gedicht, spricht nicht aus sich selbst heraus.
An dem genannten Beispiel zeigt sich mein Anspruch an Kunst. Für mich ist Kunst, ob nun als Musik, als Gedicht, als Roman, als Bild, als Statue, als Bauwerk oder als Design, immer eine besonders aufwendig gestaltete Form der öffentlichen Kommunikation des Künstlers mit anderen Menschen. Deshalb gehört zu einer guten Kunstkritik immer die Antwort auf die Frage, was der Künstler wem mit seinem Kunstwerk sagen will. Für mich ist eine Bewertung der künstlerischen Qualität ohne diesen kommunikativen Anspruch nicht möglich. Da ich nicht alle Kommunikationsversuche gleichermaßen nachvollziehen kann, versuche ich möglichst, meine Gefühle und Gedanken als "Messwerkzeug" durch andere "Messwerkzeuge" und durch beschreibende Betrachtungen zu ersetzen. Auch eigne ich mich nur schlecht als "Messwerkzeug", weil ich nicht den Anspruch habe, als Künstler zu wirken. Mir fehlt damit die Denke eines Künstlers. Dieser letzte Gedanke führt mich zu den Fragen:
"Muss oder darf ein guter Kunstkritiker selbst Künstler sein?"
"Welche Wirkung haben die Kritiken eines Künstlers bzw. eines Nichtkünstlers auf den kritisierten Künstler bzw. auf andere Künstler bzw. auf die Kunstkonsumenten?"

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7. Daniel Costantino
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ein verschreiber in deiner letzten stellungnahme (uniformierter leser statt uninformierter), dies vorneweg, bringt mich auf die idee, den uniformierten leser dem informierten gleichzusetzen.
was ich anbiete mit meinen kritiken, ist bestimmt nicht information, ausser einer einleitenden kurzzusammenfassung des inhalts oder dem, was unterderhand erwähnt wird zur verdeutlichung der argumentation. es geht mir jedenfalls um das wie und nicht um das was - definition von kunst schlechthin, wie ich das sehe. den einwand, alles sei information, beiseite, dann hätte der begriff keine bedeutung. wie die energie, die auch überall sei. oder das politische. oder der liebe gott.
ich nenne lieber den gegenstand meiner untersuchung und setze meine weltanschauung, meine ideologie, mein geistiges potential für oder gegen das werk aufs spiel. die objektivität, nach der das wort information riecht und schwitzt, stinkt wie ein aas, verhüllt den agitatorischen zweck und verschleiert die kriterien der auswahl; sie tut, als wäre sie neutral, leidenschaftslos, voller lauterkeit und gibt sich als höchster wert. der wert aber hinter dem wert, ihr antrieb und trieb, strebt gierig und im dunkeln nach den unterschiedlichsten dingen, selbst machtgelüst, selber leidenschaft, ebenso partei wie alles, was offen die klingen kreuzt.
ich halte also, in meinem bereich, objektivität für nichts anderes als die uniform, hinter der sich die leidenschaft eines menschen versteckt. vielleicht ist sie zu eis gefroren? auch gut, dann bildet information die kruste, die zusammenhält, damit nichts herausbrechen kann.
ich lebe, schreibenderweise, meiner leidenschaften. das gilt mittlerweile für alles, was ich schreibe. ausgenommen vielleicht der einkaufszettel. (die leidenschaft betrifft das essen).
ich stelle den anspruch in den vordergrund. den sprachlichen ganz besonders, weil man jede literatur daran messen kann, jede. damit biete auch ich eine vergleichsmöglichkeit, wenn auch nicht dieselbe wie du. ähnliche kunstwerke wären demnach alle andern literarischen erzeugnisse. ich betone, dass es mir nicht um gerechtigkeit gehen kann. an einem kunstwerk kann man keine gerechtigkeit üben.

(worauf hätte ich rücksicht zu nehmen angesichts unserer vagen, gebeutelten, wahnwitzigen existenz?)

zu deiner zwischensicht auf meine position: im allgemeinen fühle ich mich sehr gut verstanden. ob ich vom andern künstler lernen will - nein, das wäre so nicht richtig gesagt. ich will mich packen lassen. ein fest feiern. ja, ein fest feiern. es gibt autoren - garcía márquez, hans henny jahnn, imre kertész beispielsweise - die ich sehr bewundere, von denen ich aber nichts lernen kann oder will. ich muss meine eigene sprache finden. und die eigenen konstruktionen. die stoffe sowieso. ich bin den dreien nicht ähnlich genug, damit automatisch etwas davon zu mir herüberflösse, in meine arbeit, intuitiv. es gibt autoren, die ich nicht oder kaum lese, weil sie mir zu nahe stehen und in die quere kommen. es gibt aber zwei autoren, von denen ich einiges gelernt habe, aus begeisterung und dem ähnlichen temperament, das habe ich aber erst spät selbst bemerkt. mit dieser absicht lese ich kein buch. meine kritiken sind keine kunstwerke, bedienen sich aber eines künstlerischen mittels, des stils. als meine kunst bezeichne ich eigene gedichte, kurzgeschichten, den roman, den ich schreibe. was ich aus mir heraus schreiben muss, ohne bezug zu einem andern werk und ohne äusseren anlass.
ich erwarte schon, dass ein kunstwerk für sich selbst spricht. voran ein literarisches. sprache hat jeder. wer lesen kann zumal. damit ist der direkte zugang gegeben, der vielleicht in andern disziplinen gesucht werden müsste. ich fasse meine kritiken als ermunterung auf, sich diesen eigenen zugang herauszunehmen und sich nichts aufschwatzen zu lassen. (auch von mir nicht; wie ersehne ich einen fundierten widerspruch!)
deine anführungszeichen zu 'vorbild' und 'antivorbild' lassen darauf schliessen, du seist nicht so recht mit dem ausdruck zufrieden. ich auch nicht. ich spreche vom respekt, den ich einem künstler zolle, als einem künstler. das wort künstler selbst drückt diesen respekt schon aus. es kann auch bewunderung sein, begeisterung. im andern falle bestreite ich die künstlerschaft. es kann soweit gehen, dass ich ein werk verachte. wie oben angedeutet, und du siehst es richtig: die aufforderung zu selbständigem denken ist mir sehr wichtig. am dialog mit dir finde ich gerade deshalb meinen spass, weil du fundiert deine eigenen kriterien gegen die meinen setzt.
zum wort kommunikation. wieder ein allerweltswort. communication is life! ein technokratenwort. ein lebewesen will seine macht herauslassen, sagt nietzsche. unter kommunikation laufen platitüden, werbeslogans, lügen und kitsch frei herum, aber gewiss nicht in der kunst, wie ich sie verstehe. das wort ist mir ein zu grosser gemeinsamer nenner, als dass ich etwas damit zu tun haben wollte.
das künstlerische im menschen ist zwecklos. nicht selbstlos. gerade voller selbst: fantasie, streben, erkenntnis, undsoweiter, schöpft künstlerisches streben aus religiösem, existenziellem (existenzialistischem) bedürfnis. es entspringt nicht dem mitteilungsdrang, sondern der auseinandersetzung mit dem leben. kunst ist auf künstliche weise erzeugte exitenz pur. eine zusammenballung, ein höhenflug, ein extrakt.
das publikum, so vorhanden, feiert ein (kultisches) fest. das kunstwerk selbst kann hier schon verfälscht vorhanden sein, nebensache sein. es braucht sich auch nicht um ein kunstwerk überhaupt zu handeln, damit ein kultisches fest gefeiert werden kann. hier, scheint mir, kommt dein wort von der kommunikation erst zum zug. hier kann sie stattfinden, nicht nur unter dem publikum, sondern auch zwischen publikum und künstler. voraussetzung fürs kunstwerk scheint sie mir nicht zu sein. man spricht sicher vom künstler auf der bühne, doch ob er wirklich kunst vorführt oder nur sich selbst, ist eine andere frage. es ist überhaupt legitim, anderes vorzuführen als kunst. kunstmachen aber ist entschieden nicht dasselbe wie kommunizieren. zum kunstmachen alleine braucht es keine kommunikation. ich lege wert auf die qualitative analyse, und die qualität hat nichts mit der kommunikation zu tun. aber mit dem anspruch eines künstlers an sich selbst. nicht, damit er besser rüberkomme, sondern für sich, auf sich selbst und seine existenz bezogen.
was will der künstler (dem publikum) sagen? eben das kunstwerk. dies ist seine aussage. versteht man ihn nicht, kann zweierlei geschehen sein: das publikum befindet sich nicht auf der höhe oder es handelt sich um stümperei. wieviele menschen, die du kennst, kannst du nicht verstehen, und woran liegt es? ja, was muss man überhaupt verstehen können, nicht wahr. man kann einander doch nicht verstehen, verstünde man denn sich selbst?
man kann loben und missverstehen zugleich. man kann genau verstehen und doch ablehnen. ein kunstwerk braucht nicht (von allen) verstanden zu werden. es spricht für sich selbst, und wer nichts damit anfangen kann, lasse es bleiben. wohlverstanden, ich spreche immer noch vom kunstwerk, nicht von irgendeinem kulturellen produkt. kunst unterscheidet sich von andern werken durch die qualität, die innere lebendigkeit. gestaltungsvermögen, handwerk, der schöpferische daumenabdruck kommen hinzu.
ich würde einige der gedichte, von denen du schreibst, als reimereien abtun, die ja durchaus auch gelungen sein können. sehe allerdings rot, wenn solches für kommerzielle zwecke eingespannt oder extra verfertigt wird. oder lache, lache sehr. die beste und gewaltloseste terapie.
vielleicht noch von einer andern seite her kurz beleuchtet: ist ein sänger ein künstler? so er seine stimme schult, stilsicher ist, die formen des auftretens beherrscht und das alles gut, bestens, applauswürdig - nein. im handwerk selbst liegt noch nicht die kunst, wie ich sie meine. er vermittelt kunst, er unterhält. nicht wenig! doch erst, wenn seine seele in die stimme fliesst...dann ist er in meinem sinne ein künstler. wenn seine ganz persönliche interpretation zu buche schlägt. seine unverwechselbarkeit. wenn er, anders gesagt, sein leben aufs spiel setzt. und dies risiko umzuwandeln vermag in seinen gesang.

ja, und abschliessend: ein künstler, gerade ein musiker, der unterrichtet, muss ein kritiker sein am schüler. und er muss es an sich selbst sein. ob er kritiken schreiben darf? wieso willst du ihm das recht verwehren? ein kritiker aber, der nicht selber künstler ist, weiss auch um die kunst und ihr geheimnis. jeder mensch kann kunst erleben. dazu muss einer nicht selber künstler sein.
auf deine letzte frage weiss ich wenig zu sagen. doch dies: ich hatte mich über einen kritiker sehr geärgert, der schrieb, meine stimme hätte 'gutes material'. (er hatte inszenierung und komposition hervorgehoben und von den solisten nur zwei erwähnt, mich mit diesem kurzen satz). ich hatte den satz nicht als lob empfunden, sondern ein aber dahinter beargwöhnt. und mich geärgert, dass er die katze nicht aus dem sack gelassen. ein anderer kritiker schrieb negatives über die zusammensetzung eines (andern) programms und die unvereinbarkeit meiner stimme mit jener meiner kollegin. das hatte uns nicht gefreut, aber ich wusste gleich, dass er sehr recht hatte damit. ich kann sagen, dass mich eine formale, eine objektiv formulierte kritik immer ärgert. man gibt sein herzblut als sänger, nicht wahr, und wird mit abstrakten formeln abgefertigt. man fühlt sich grauenhaft missverstanden, in den zoo gestellt, fehl am platze in dieser welt. eine kritik mit bauch und herz aber, und sei sie noch ein verriss, kann man nehmen, und ist sie fundiert, weiss man, der kritiker hat recht. im andern falle findet man im eignen blute die kraft, erst recht weiterzumachen.


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8. Dieter Porth
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Die Antwort auf deinen Artikel fiel mir schwerer als ich mir anfangs ausmalen mochte. Deine Antwort ist komplex und dein Text enthält eine ganze Reihe von Aspekten, über die ich bisher wenig nachgedacht habe. Lange bereitete mir die Form Schwierigkeiten, wie ich angemessen und effizient antworten kann. Denn neben den Inhalten und ein Frage bestimmt immer auch die Form den Erfolg von Überlegungen. Ich habe mich für das folgende Vorgehen entschieden. Ich werde wichtige Zitate (nach meiner Ansicht) als Startpunkt für meine Überlegungen verwenden. Dabei sind mir folgende Aspekte wichtig.
- Welchen Stellenwert hat die Objektivität in einer guten Kunstkritik?
- der "uniformierte" Leser
- Was ist ein Kunstwerk und was zeichnet den Kunstakt aus?
- Ist die Trennung vom künstlerischen Akt und kultischen Fest gerechtfertigt? (Musik-Literatur?)
- "das künstlerische im menschen ist zwecklos. nicht selbstlos. gerade voller selbst:"


- Welchen Stellenwert hat die Objektivität in einer guten Kunstkritik?
Dein Verhältnis zur Objektivität wird für mich deutlich in folgenden Satz. "die objektivität, nach der das wort information riecht und schwitzt, stinkt wie ein aas, verhüllt den agitatorischen zweck und verschleiert die kriterien der auswahl; sie tut, als wäre sie neutral, leidenschaftslos, voller lauterkeit und gibt sich als höchster wert."
Ich stimme dir zu. Es gibt keine Objektivität. Dies weiß jeder gute Empiriker. Man nehme als Beispiel eine Karre, die einen Berghang hinunterrollt und in einer Matschkuhle stecken bleibt. Von Aristoteles bis Newton glaubten die Wissenschaftler, das jeder bewegte Gegenstand irgendwann zur Ruhe kommt. Diese Aussage ist richtig und lässt sich in der Realität immer wieder beobachten. Seit Newton glaubt man dagegen, dass ein einmal angeschubster Gegenstand sich unendlich lange fortbewegen wird (Planetenbewegungen). Nur wenn der Körper einer Reibung ausgesetzt ist, verliert er seine Bewegungsenergie. Dies sieht man doch eindeutig am Beispiel von der Karre im Dreck. Die identische Beobachtung führt zu zwei unterschiedlichen Sichtweisen, die beide übrigens ihre Berechtigung haben.
Es gibt keine Objektivität. Es gibt lediglich Denkmuster, die man auf Beobachtungen in der Realität anwendet. Wenn ich eine Kunstkritik schreibe, dann versuche ich solche systematischen Denkmuster zu benutzen. Ein typisches literaturwissenschaftliches Denkmuster für Literaturkritik gründet sich beispielsweise auf den Lebenslauf eines Künstlers. Der Lebenslauf wirkt oft in die Kunstwerke hinein und entsprechend macht es Sinn, sich mit dem Lebenslauf auseinander zusetzen. Die Auseinandersetzung gibt Anhaltspunkt zum Verständnis für den Künstler und sein Werk.
Auf meiner Gedichtehitliste padina.com benutze ich ein anderes Denkmuster. Ich strebe bei der Auswahl der Gedichte eine gewisse Vielfalt an, die sich aus der Verschiedenartigkeit des Umfelds ergibt. In einem Forum vom verscheidenen Feierabenddichtern herrscht sicher ein anderes Klima als in einem Forum von Depressiven, wo ein Gedicht als therapeutisches Mittel benutzt wird. Wiederum eine anderes "Klima" herrscht auf der Schandfelck.ch-Website. Jedes Umfeld kann in die Gedichte hineinwirken. Die Vielfalt dieser Wirkungen will ich auf Padinas Gedichtehitliste erkennbar machen. (Anmerkung: ursprünglich entstand die Padinas Gedichtehitliste als teil eine Radiosendungskonzepts. In der Radiosendung sollte über die Gedichte die Vielfalt der menschlichen Denk- und Sichtweisen in unterhaltbarer Form verdeutlicht werden. Die Geschichte der Entstehung wirkt also auch hier weiter.]
Ich stimme mit dir überein. Eine Kunstkritik kann nie objektiv sein. Eine gute Kunstkritik sollte intersubjektiv sein. Sie sollte die Denkmuster offen legen, nach welchen sie ein Kunstwerk analysiert. Wenn ein anderer Kritiker ein Kunstwerk nach dem gleichen Schema analysiert, sollte er zu den gleichen Schlussfolgerungen kommen. Dies bedeutet intersubjektiv.
Wenn ich ein Gedicht analysiere, dann kann ich das Leben des Künstler oder das Umfeld der Gedichtentstehung analysieren. Ich persönlich halte bei der Analyse von Kunstwerken immer den Kommunikationsaspekt für wichtig. Wen will der Künstler ansprechen? Welche Mittel verwendet er dazu? Wie reagiert der Leser darauf? Dabei ist bei Gedichten dieser Aspekt der Kommunikation vielleicht nicht so wichtig; aber auch Gedichte entstehen nicht herausgerissen aus einem Zusammenhang, so dass ein Blick auf das Entstehungsumfeld und/oder ein Blick auf die Publikationsform sinnvoll ist.

- der "uniformierte" Leser
Du setzt spaßeshalber den informierten Leser mit dem uniformierten Leser gleich. Dies ist ein schöner Gedanke. Dabei ist für dich die Uniform eine Metapher, die im folgenden Satz. treffend beschreiben wird:
... objektivität für nichts anderes als die uniform, hinter der sich die leidenschaft eines menschen versteckt. vielleicht ist sie zu eis gefroren? auch gut, dann bildet information die kruste, die zusammenhält, damit nichts herausbrechen kann. ...
In diesem Satz schwingt auch dein Unbehagen gegenüber der Objektivität und den oft starren, manchmal wirklich verkrusteten Denkmustern (= Uniform) mit. Ich sehe eine intellektuelle Uniform bei weitem nicht so negativ wie du. Denkmuster bzw. intellektuelle Uniformen halte ich sogar für wichtig - gerade in einer Kunstkritik. Nach der Begründung gehe ich auf deine Abscheu gegen intellektuelle Uniformen ein, denn deine Abscheu fusst auf den Schwächen dieser Uniformen.
Wenn ich eine Kunstkritik schreibe, dann schreibe ich sie für den uninformierten Leser. Ich möchte dem Leser einen Eindruck von dem Kunstwerk (Musikdarbietung) geben. Bei Konzerten ist mir insbesondere auch die Interaktion zwischen Künstler und Publikum wichtig.
Wenn ich für uninformierte Leser eine Kritik schreibe, dann muss ich mich selbst beschränken. Ich möchte dem Leser meinen systematisch erfassten Eindruck vermitteln und ihm selbst ein Urteil erlauben. Vielleicht liest der eine oder andere Leser meine Kritiken regelmäßig und hat vielleicht das eine oder andere Konzert selbst miterlebt. Dann kann er seine Erfahrungen mit meinem systematischen Schreibstil abgleichen. Nach einem solchen Abgleich kann er, Ohne den Auftritt gesehen zu haben, eher beurteilen, ob die Musik und das Konzert ihm zugesagt hätte. Dabei muss er voraussetzen, dass ich meine Wahrnehmung systematisiert habe. Oft verkneife ich mir sogar ein abschließendes Urteil; denn manche Musik mag ich weniger und manche Musik mag ich mehr. Die Uniform verfolgt den Zweck, den uninformierten Leser zu informieren. Dabei ist es wichtig, dass man sich selbst an bestimmte Standards und Schemata hält. Der uninformierte Leser verlässt sich darauf, dass er einen Eindruck vom Musikauftritt bekommt, den er nicht miterleben konnte.
Im Laufe meines Lebens hatte ich die Chance, viele verschiedene "Uniformen" (=Denkmuster bzw. Fragestellungen) kennen zu lernen. Es sind darunter chemische Uniformen, informatische Uniformen, mathematische Uniformen, physikalische Uniformen, pädagogische Uniformen, soziologische Uniformen, psychologische Uniformen, rhetorische Uniformen und auch ein paar ethnographische Uniformen. An den philosophischen und den wirtschaftlichen Uniformen habe ich mich versucht, aber die Fragestellungen dieser Uniformen haben meinem Verstand nie wirklich zugesagt. Auch die spirituellen und religiösen Uniformen haben mich nie interessiert, weil ihn Ihnen fast immer die Frage nach dem Sinn des Lebens steckt. (Angesichts meiner derzeitigen Hartz-IV-Karriere hat mir die Belesenheit nicht wirklich viel genutzt oder die heutige Gesellschaft will trotz vielfältiger Bildungshymnen der Politiker eigentlich keine gebildeten Menschen mehr. Vielleicht kommt meine Zeit irgendwann noch einmal. Wer weiß?)
All diese intellektuellen Uniformen ermöglichen mir, ein Kunstwerk aus vielen unterschiedlichen Gesichtspunkten wahrzunehmen. Die chemischen Uniformen bzw. Denkmuster treiben mich immer wieder dazu, Gemeinsamkeiten zwischen bestimmten Musikern zu suchen. Die informatischen Uniformen bringen mich dazu, die Beschreibungen zu systematisieren bzw. zu algorithmisieren. Meine psychologische Uniform motiviert mich dabei zur Beschäftigung mit den kommunikativen Aspekten. Ich bin also auch ein Kind meiner Bildungsentwicklung.
Was würde passieren, wenn ich mich auch Textkritiken oder auf Gedichtkritiken stürzen würde? Wahrscheinlich würde ich vieles weiterhin aus kommunikativer Sicht analysieren. In welchem kommunikativen Umfeld ist das Gedicht einzuordnen. Was mich zur Zeit auch reizen würde, wäre eine Untersuchung von Gedichten aus der Sicht von Wortfeldern und der Sprache. Die Beschäftigung damit halte ich auch aus anderen Gründen noch für wichtig.
Aber deine Abscheu gegenüber dem "uniformierter Leser" liegt auf einer ganz anderen Ebene, als ich hier bisher geschildert habe. Die Uniform zerstört die Leidenschaft. Jedem Kunstwerk wohnt die Leidenschaft inne. Jedes meiner Worte hat sicher dein Unbehagen verstärkt, weil ich mit meinen Denkmustern den Leser gängele und führe und die Leidenschaft überhaupt nicht erwähne. Im gewissen Maße manipuliere ich den Leser und missachte den Künstler. Andererseits gehe ich davon aus, dass der uninformierte Leser seine Erfahrungen mit meinen Kritiken abgleicht und so auch bei unbekannten Konzerten einen ungefähren Eindruck vom Konzert bekommen kann. Wenn ich dies gut mache, werden immer mehr Leser meine Kritiken lesen. Damit wächst meine Verantwortung gegenüber dem Leser. Je häufiger mich die Leser lesen, desto mehr vertrauen die Leser auf die Beständigkeit meiner Denkmuster, um sich selbst ihre eigenen Gedanken machen zu können. Je mehr Leser mich lesen desto mehr Verantwortung und auch Macht bekomme ich, denn die Leser vertrauen mir dann. Ich nehme die Verantwortung und auch die Macht an. Es wäre an dieser Stelle natürlich einfach möglich, den vertrauensseligen Leser zu manipulieren. Aber durch die Verwendung von Uniformen möchte ich mich selbst auch gegen solche Manipulationen schützen. Die Uniform schränkt ein, aber die Uniform lässt dem Leser auch mehr Raum für eigenen Gedanken.
Du möchtest den Leser aufrütteln, indem du ganz offensichtlich deine Person gegen das Kunstwerk stellst. Damit hoffst du, dass der Leser sich wegen deiner persönlichen Sichtweise selbst seine Gedanken über das Kunstwerk bzw. über das Gedicht macht. Ein wesentliches Merkmal deiner persönlichen Kritik ist dabei die Leidenschaft, die du dem Kunstwerk entgegen bringst. Gerade die Leidenschaft fehlt meinen Kritiken fast vollständig. Dies Fehlen der Emotionen und Gefühlswallungen kritisierst du an den Kunstkritiken für den uniformierten Leser. Ich glaube, deine Kritik ist richtig und falsch zugleich. Langfristig halte ich eine systematische Kritik für besser, weil der uninformierten Leser die Chance hat, sich zu überlegen, wie er die Kritik lesen will.
Du schreibst weiter unten aber auch, dass die Leidenschaftslosigkeit der Kritiker dir als Künstler zu schaffen macht. Vielleicht ist eines klar geworden. Ich schreibe keine Kunstkritik für den Künstler. Ich schreibe eine Konzertkritik für einen uninformierten Leser, der vielleicht das nächste Konzert des Musiker besuchen will. Meine Verbesserungsvorschläge beziehen sich auf handwerkliche Schwächen, die manchen Konzertinszenierungen zugrunden liegen.

- Ist die Trennung von künstlerischen Akt und kultischen Fest gerechtfertigt? (Musik-Literatur?)
"... das publikum, so vorhanden, feiert ein (kultisches) fest. das kunstwerk selbst kann hier schon verfälscht vorhanden sein, nebensache sein. es braucht sich auch nicht um ein kunstwerk überhaupt zu handeln, damit ein kultisches fest gefeiert werden kann. hier, scheint mir, kommt dein wort von der kommunikation erst zum zug. hier kann sie stattfinden, nicht nur unter dem publikum, sondern auch zwischen publikum und künstler. voraussetzung fürs kunstwerk scheint sie mir nicht zu sein. ..."
Diese Unterscheidung zwischen Kunstwerk/künstlerischen Akt (Konzert) und kultischen Fest (Reaktion des Publikums aufs Konzert) finde ich interessant. Es gibt sicher Musikstile, bei denen eine solche Trennung wichtig ist. Ein Beispiel ist der neue Jazz. Bei anderen Musikstile ist das kultische Fest Bestandteil der Inszenierung. Ein Beispiel ist der Skapunk.
Ich möchte zuerst den Jazz untersuchen. Dort ist die musikalische Selbst-Inszenierung das Kunstwerk. Die Kommunikation mit dem Publikum ist vom Künstler nicht gewollt und wird auch vom Publikum nicht erwartet. Ich habe diese merkwürdige Atmosphäre beim Jazzfestival in Göttingen erlebt. Die Jazzmusik hat ihr Publikum gefunden. Die Anstrengung, die die Musik den Musikern und dem Publikum abverlangt, war aus der Gestik des Publikums bzw. des Musikers richtiggehend abzulesen. Im Jazz gehört die Selbstinszenierung des Jazzmusikers zum Konzert dazu. Meine Kritiken war wegen des Fehlens der Kommunikation nicht gerade positiv, aber ein Leser der Jazzmusik mag und das Jazzfestival genossen hat, wird wahrscheinlich meine zukünftigen Kritiken zum NewJazz entsprechend lesen. (Aber auch hier ist für mich nicht der Künstler der eigentliche Ansprechpartner, sondern der Konsument der Musik.) Der Jazzfreund wird wahrscheinlich sagen, dass ich von Jazz keine Ahnung habe, aber vielleicht wird er trotzdem die Kritiken lesen, weil sie immer nach dem gleichen Schema ablaufen.
Bei anderen Musikrichtungen gehört die Inszenierung von kultischen Festen wichtiger. Dies ist zum Beispiel typisch für den Skapunk. Der Ska hat seine Wurzeln in der englischen Arbeiterbewegung hat. In solchen Fällen gehört der kommunikative Aspekt zur Musikkritik.
Die Überlegungen zeigen, dass der kommunikative Aspekt nur manchmal zur Kunstkritik gehört. Für mich gehört deshalb die Beschreibung der Kommunikation zwischen Publikum und Künstler immer mit zu einer Konzertkritik. Durch diese systematische Gleichförmigkeit biete ich mit meiner Kritik dem Leser eine sekundäre Erfahrung an.
Übrigens würde ich den kommunikativen Aspekt auch bei manch anderen Aspekten erwarten. Beispielsweise bei Lesungen würde ich der Kommunikation zwischen Autor und Hörerschaft in der Kritik berücksichtigen. Auch bei Theateraufführungen würde ich die Reaktionen des Publikums beobachten. Dagegen macht ein solcher Aspekt bei Bilderkritiken oder bei Gedichtkritiken der kommunikative Aspekt wenig Sinn. Aber auch bei der Kritik von Musikceedees (CDs) spielt der kommunikative Aspekt keine Rolle mehr. Hier sind andere Aspekte wichtiger.
In welchem Umfeld ist das Kunstwerk entstanden?
Unter welchem Zeitgeist ist das Kunstwerk entstanden?
Welche Fragestellungen haben den Autoren beschäftigt?
Welche Stimmungen vermittelt das Kunstwerk?

Ich stimme übrigens dir zu, dass zu einem kultischen Fest nicht unbedingt gute Musik oder ein Kunstwerk gehört. Aber ein Künstler, der ein kultischen Fest veranstalten will, sollte das Handwerkszeugs eines ordentlichen Animateurs beherrschen.

- Was ist ein Kunstwerk und was zeichnet den Kunstakt aus?
" ... man kann loben und missverstehen zugleich. man kann genau verstehen und doch ablehnen. ein kunstwerk braucht nicht (von allen) verstanden zu werden. es spricht für sich selbst, und wer nichts damit anfangen kann, lasse es bleiben. wohlverstanden, ich spreche immer noch vom kunstwerk, nicht von irgendeinem kulturellen produkt. kunst unterscheidet sich von andern werken durch die qualität, die innere lebendigkeit. gestaltungsvermögen, handwerk, der schöpferische daumenabdruck kommen hinzu. ..."
Das Lob oder die Kritik gehört für mich nicht zwangsläufig zu einer guten Kunstkritik, denn schließlich kann ich das Kunstwerk auch missverstehen oder ich kann den schöpferischen Daumenabdruck überhaupt nicht verstehen, weil er einfach zu neu und zu ungewohnt ist.
Beim "schöpferischen Daumenabdruck" musste ich übrigens an die amerikanische Psychologin Magaret A. Boden "Die Flügel des Geistes" denken. Sie beschäftigt sich in ihrem Buch mit der Kreativität aus psychologischer Sicht. Besonders wichtig halte ich ihre Unterscheidung zwischen historischer Kreativität und persönlicher Kreativität. Schon ein Kind kann persönliche Kreativität beweisen, wenn es sich selbst das freihändige Fahrradfahren beibringt. Das Kind hat durch den Lernakt seine bisherige persönliche geistig-körperliche Begrenzung überwunden. Die historische Kreativität definiert sie weitergehend. Bei der historischen Kreativität ist es einem Mensch zum ersten Mal in der Geschichte der Menschheit gelungen, etwas Neues zu denkn, zu schaffen oder zu schreiben.
Der schöpferische Daumenabdruck des Künstlers liegt wahrscheinlich irgendwo zwischen persönlicher und historischer Kreativität. Ein guter Künstler muss nicht der erste gewesen sein, der etwas neu denkt, oder schafft. Aber ein guter Künstler gehört zu den ersten seiner Zeit, der seine persönliche Begrenzung und die Begrenzung durch den Zeitgeist überwindet. Manchmal kann es etwas länger dauern, bis der Zeitgeist (also nidie Nichtkünstler) merken, dass der Zeitgeist schon lange überholt ist. Wenn das der Fall ist, dann ist der Künstler lange Zeit unverstanden geblieben. Beispielsweise war Modern Talking auf gewisse Weise genial und innovativ, weil es die Retortenfertigung von Pop-Song auf die Spitze trieb. Die meisten Kritiker erregte damals eigentlich nur, dass das primitive Musikkonzept von Dieter Bohlen so offensichtlich erfolgreich funktionierte. Die meisten Kunstkritiker glauben, dass ein Kunstwerk wegen seine Neuheit nicht sofort erfolgreich sein kann - im logischen Umkehrschluss folgerten sie, dass Modern Talking keine Kunst gemacht haben kann. Ich sehe an der Stelle Dieter Bohlen auf dem gleichen Niveau wie Josef Beuss.
Insgesamt fällt es mir aber schwer, den Spirit und das Herzblut zu erkennen, welches sicher in Kunstwerken drinsteckt,. Gerade weil ein Kunstwerk kreativ ist und mit der Überwindung persönlicher Grenzen zu tun hat, kann ich als Kritiker diese Grenzen nur selten kennen. Auch gibt es viele Grenzen, die man überwinden kann. Die Grenzen hängen von den Fragestellungen des Künstlers ab. Die Fragestellungen müssen nicht für die Allgemeinheit oder für mich gelten.
Manchmal bin ich auch schon verletzend geworden. Ich entsinne mich noch eines Gesprächs mit einem Liedermacher, der erstmals in seinem Leben mit einer Band zusammengearbeitet hat. Für diesen Musiker war es eine persönliche Herausforderung gewesen, an welcher er viel gelernt hat. Das Resultat war auf der CD "Habt euch lieb" zu hören gewesen. Ich empfand die CD als musikalischen Stillstand. Die Kritik war für ihn sehr verletzend gewesen, weil ich das Wesentliche seiner künstlerischen Arbeit nicht verstanden habe. Gerade wegen solcher Erfahrungen halte ich mich bei Bewertungen eher zurück. Ich kenne viele Hintergründe einfach nicht.

- "das künstlerische im menschen ist zwecklos. nicht selbstlos. gerade voller selbst:"
In dem Zitat hast du noch einmal kurz und knapp die Leidenschaft und das Herzblut ausgedrückt, welches in einem Kunstwerk steckt. Mir ist als Kritiker die Seele des Künstlers ersteinmal egal. Mir ist als Kritiker wichtig, dass ich dem uninformierten Leser einen verlässlichen immer wieder nach dem gleichen Schema ablaufenden Eindruck vom Kunstobjekt gebe. Dabei sollte das Schema den Vergleich zwischen möglichst vielen ähnlichen Kunstobjekten erlauben, so wie die chemischen Formeln die Beschreibung von vielen unterschiedlichen Molekülen ermöglichen. Gerade aus dieser Sichtweise heraus glaube ich, dass es Schemata für gute Kunstkritiken geben kann.
Dein Satz gefällt mir trotzdem und zeigt eine Grenze meiner Sicht auf.. Er zeigt, dass die Leidenschaft eine wichtige Motivation des Künstlers ist. Er zeigt, dass die Leidenschaft wahrnehmbar sein muss. Ich habe aber nicht verstanden, wie man diese Leidenschaft wahrnimmt. Vielleicht sollte ich auf diese Frage einmal stärker mein Augenmerk richten. Woran erkennt man Leidenschaft?

Was ist eine gute Kunstkritik? - eine Zwischenbilanz
Ich schreibe in erster Linie eine Kunstkritik für den Leser, der ein Kunstwerk nicht kennt und der sich darüber informieren möchte. Dabei setze ich bewusst auf bestimmte Schemata und Denkmuster, die sich immer wieder wiederholen. Die Widerholung ist wichtig, damit der Leser die Kritik als Quelle für eine "sekundäre Erfahrung" nutzen kann.
Die Kunstkritik richtet sich erst in zweiter Linie an den Künstler. Auch die persönliche Bewertung des Kunstwerks halte ich nicht für so wichtig, weil ich dem Leser die Freiheit zu eigenen Gedanken geben möchte. Vielleicht möchte er auch gar nicht nachdenken, dann soll es mir auch recht sein.
Meine Kunstkritiken fehlt sicher der Aspekt der Leidenschaft. Dies muss ich in Zukunft ändern.

In dem ersten Artikel habe ich die Frage gestellt: "Was grenzt eine Kunstkritik von einer Meinungsäußerung, von einer Schmährede, von einer Hymne oder von einem Nachruf ab?"
Im Gegensatz zu einer Meinung oder Schmährede beschreibt eine Kunstkritik das Kunstwerk nach verschiedenen Sichtweisen. Die Wertung wird die Kunstkritik eher den Lesern überlassen, denn letztendlich nehme ich als Kritiker schon mit der Auswahl der Informationen und Betrachtungsweisen eine Bewertung des Kunstwerks vor. Die persönliche Bewertung ist meist nur eine konsequente Schlussfolgerung meiner Informationszusammenstellung. Solche Bewertung sind überflüssig und gängeln letztendlich den Leser nur. Ich möchte aber, dass der Leser sich seine eigenen Gedanken macht.
Ich habe an dieser Stelle immer die Kunstkritik für den "uninformierten" Leser geschrieben. Dabei muss ich mir immer vergegenwärtigen, dass es eigentlich nicht den Leser gibt. Viele Leser nähern sich einem Kunstwerk mit unterschiedlichen Sichtweisen: Der Kritiker hat eine andere Sicht als der Künstler, der mit Herzblut sein Werk geschaffen hat. Die Zuschauer oder der Zeitgeist betrachtet ein Kunstwerk wiederum anders als beispielsweise ein Fan oder ein Sponsor.

Aber im möchte diesen Artikel nicht ohne eine Frage abschließen. Du schreibst, dass der Kritiker wie auch der Künstler um die Leidenschaft eines Kunstwerks weiß. Ich bin mir bei mir nicht sicher, ob ich in vielen Kunstwerken die Leidenschaft bemerke. Man sagt mir nach, dass ich sehr "verkopft" sei. Deshalb stelle ich wahrscheinlich diese Frage.
Wie merkst du die Leidenschaft bei einem Künstler?


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9. Artikel von Daniel Costantino
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nun - es war nicht meine intension zu sagen, es gebe keine objektivität. ich wollte den betrug sichtbar machen, der mit dem wort versucht wird. und zu oft auch erreicht. das essenziell künstlerische liegt nur im subjektiven, im ausgesprochen subjektiven. objektivierbar machen kann man aber das handwerk: zu klassischem gesang gehört es nun mal nach übereinkunft und sitte, dass der sänger astrein intonieren kann. sonst singt er in der falschen disziplin. über die künstlerische leistung aber sagt eine gute intonation noch garnichts aus. ausser man nähme die beherrschung des grundhandwerks schon als kunst. grass kann deutsch. er hat einen lebenslauf, eine lebensgeschichte. er hat ein paar preise gewonnen und ein paar reden gehalten. es entzündet sich eine debatte um seine mitgliedschaft in der waffen-ss. er hätte oder hätte nicht oder früher oder anders oder überhaupt. standpunkt im brustton. moral. empörung. oder flammende verteidigung. und fertig ist mein chefartikel im feuilleton. -
aber bitte: wie schreibt der herr? wie wertvoll sind seine gedanken, die er zu papier bringt? wie steht es um seine sprachliche meisterschaft, um dichterische potenz? oder wenigstens moralische autorität? kläglich, kläglich, kann ich sagen und beweisen...
vielleicht eine abschweifung, aber du hast soviel geschrieben und ich weiss bald nichts mehr zu sagen: ein paar zitate von grass, um beim beispiel zu bleiben und darüberhinaus zu zeigen, wie ich an texte herangehe, prima vista, denn die zitate waren mir bis eben noch unbekannt. (internet sei dank!)

"Im Westen wird derzeit selbstgefällig die Diskussion über den Grundsatz geführt, daß wir das Recht auf eine freie Presse genießen. Aber wer hier nicht Selbstbetrug betreibt, weiß genau, daß die Zeitungen von Anzeigen leben, und daß sie Rücksicht darauf nehmen, was bestimmte wirtschaftliche Kräfte diktieren. Die Presse selbst ist Teil enormer Unternehmensgruppen, welche die öffentliche Meinung monopolisieren. Wir haben das Recht verloren, unter dem Recht auf freie Meinungsäußerung Schutz zu suchen."
(El PAIS Interview, zitiert nach DIE WELT, 10. Februar 2006)

meine kurzanalyse: ein typischer grass! er schreibt in seinen romanen um kein jota besseres deutsch. im gegenteil noch! umständliche, stillose sprache, etwas sperrig und ungelenk wie immer. selbstgefällig wird eine diskussion über einen grundsatz geführt, dass....gehts nicht etwas weniger umständlich, knapper, eingängiger? nein, kann er nicht. hat er nie gekonnt. immer leichter bis mittelschwerer ansatz zu schwulst. und wird die diskussion überhaupt geführt? von wem denn? die ..und-dass-sätze, achgott! man muss stets um drei oder vier ecken denken, bis mans zusammenbringt. das ist ungelenk, unschön obendrein. und was kommt ausser der grossen röhre dann heraus? eine binse! nichts weiter als eine binse, etwas, was wir nun wirklich alle wissen, was er ungestraft herumposaunen kann. dass die zeitungen von anzeigen leben! ach nee, hättest dus gewusst? die presse teil von unternehmensgruppen, ja das hört einer täglich. aber die diskussion darüber? vielleicht zweimal im jahr im dritten programm, lange nach mitternacht, wenn alle schön schlafen. übrigens: diskussion über den grundsatz führen, dass...na, wenns ein grundsatz ist, muss man eigentlich nicht darüber diskutieren. und was zu diskutieren gäbe, stellt den grundsatz ebengerade infrage. solches wischiwaschigeraune in all seinen büchern, exzessiv. er beherrscht das denken nicht! wie grossmütig auch von der presse, dass sie rücksicht nimmt. dabei hätte sies garnicht nötig. es wird ihnen ja nur diktiert. oder wie meinen? wäre sie gezwungen, erpresst, korrupt? du siehst, es passt nichts aufeinander. dass sie rücksicht darauf nehmen....was ihnen diktiert wird! der junge ist wirklich drollig. lies seine 'zwiebel', du wirst sehr lachen können. und wie bischöflich-hirtenhaft geradezu der satz vom schutze, den wir suchten 'unter dem recht auf freie meinungsäusserung'. und, bei lichte besehen: wir hätten natürlich nicht das recht verloren, hier schutz zu suchen. suchen darf man immer noch.
aber so ist er halt, der grass. nicht sehr genau. schwülstig im stil, hochgestochen in den metafern und etwas gar umständlich im satzbau für einen dichter, für einen, der sich also an höchsten massstäben messen lassen muss. (und der die chuzpe hat zu sagen, er sei nicht der einzige grosse erzähler, gerold späth sei ihm fast ebenbürtig! dabei ist späth ein wirklicher erzähler, ein meister des fachs, ein bedeutender, sprachlich auf hohem niveau stehender autor!)
aber grosse moralische instanz! ohne witz gesagt und objektiv!

"Gegenwärtig sind wir - was sich nicht als Gewinn erwiesen hat - nur noch der Hybris einer einzigen Großmacht ausgeliefert, die auf der Suche nach einem neuen Feind fündig geworden ist. Den von ihr mitverschuldeten, weil - siehe Bin Laden - gezüchteten Terrorismus will sie mit Waffengewalt besiegen. Doch der von ihr gewollte und die Gesetze der zivilisierten Welt mißachtende Krieg fördert den Terror und kann nicht enden."
(Günter Grass bei der Eröffnung des 72. Internationalen P.E.N.-Kongresses am 23. Mai 2006 in Berlin)

der sprachliche dilettantismus ist eklatant. der schlusssatz ein graus! grass ist ein schreibapparatschik ohne sprachgefühl und sinn für klares, wahres, kraftvolles deutsch. die hybris - ich habs nachgeschaut, weil ich selbst nur wörter gebrauchen will, die ich genau kenne: vermessenheit, selbstüberhebung, die zu einem schlimmen ende führt. der einschub in strichen (nicht als gewinn erwiesen) ist also reichlich überflüssig. ausserdem kann er nicht sagen, ihr krieg missachte die gesetze der zivilisierten welt, womit das wollen auch schon ausgedrückt wäre. und er wird es nie können. er muss der schwerfälligen partizipwendung (der von ihr gewollte) noch eine zweite hinzufügen und damit den satz hoffnungslos komplizieren (und die gesetze der zivilisierten welt missachtende). geschenkt, was er unter zivilisierter welt denn verstünde, geschenkt auch der zusammenhang von züchten und 'mit'verschulden - was er aussagt, kann ich täglich in der zeitung lesen. die kaut es mir vor. von dort hat ers auch. und käut es wieder. (und es 'erweist sich nicht als gewinn').

"Entsetzt sehen wir, dass der Kapitalismus, seitdem sein Bruder, der Sozialismus, für tot erklärt wurde, vom Größenwahn bewegt ist und sich ungehemmt auszutoben begonnen hat."
(Günter Grass in der Nobelpreisrede).

diese sprache soll man einem dichter durchgehen lassen? einem für seine sprache und seinen politischen intellektualismus mehrfach prämierten schriftsteller? kapitalismus und sozialismus brüder? drei einschübe, bevor er endlich auf den punkt kommt. der vom grössenwahn bewegte kapitalismus, wie kühn und anschaulich der vergleich! der kapitalismus habe den grössenwahn...und erst seitdem sein bruder totgesagt sei - drauf werd ich mit dem kapitalismus mal ein bier trinken gehn. werd ihm ins gewissen reden anstelle seines totgesagten, jedenfalls verschollenen bruders. ne nee, so kann jeder boulevardzeitungsfritze schreiben, aber garantiert. grass schreibt den letzten quark. weder bedeutendes noch überhaupt akzeptables. ihn als gross, als dichter, als autorität hinzustellen, ist ein betrug.

"Ich mußte mir selbst etwas zusammenschustern mit all den Irrtümern und mit all den Umwegen, während Gleichaltrige meiner Generation, Christa Wolf etwa oder Erich Loest, im Osten des Landes sofort mit einer neuen und glaubhaften Ideologie versorgt waren."


es ist ja normal, dass man beim zusammenschustern irren muss, umwege machen muss. die irrtümer und umwege sozusagen mitschustern, hineinschustern muss. kein handwerk ohne umweg! das weiss jeder schuster, nicht wahr? und die gleichaltrigen meiner generation - der weisse schimmel wiehert vor freude. man kann die zitate beliebig fortsetzen, gut formuliert ist keins, einen geraden gedanken sucht man ebenso vergeblich wie einen guten. ich habe sein buch 'beim häuten der zwiebel' besprochen. die zitate sind eher noch besserer grass als die schreibe im roman.

so betreibe ich meine kritik. es gibt eine erste reaktion auf die sprache, auf die formulierung und die qualität der gedanken. versagt einer schon hier, kann ich mir 'literatur' überhaupt nicht zu gemüte führen. die voraussetzungen zur kunst sind nicht gegeben. das niveau des zeilenschinders grass entspricht etwa dem eines sängers, der in einer oper die hauptrolle singt und überhaupt nicht intonieren kann, kein legato zustandebringt, die einsätze verpasst, den rytmus nicht durchhält und erst noch den text durcheinanderbringt. du hättest ihm viele gute ratschläge zu geben. am besten würdest du ihm empfehlen, die sache bleiben zu lassen und sich ein anderes betätigungsfeld zu suchen. er ist einfach in der falschen branche gelandet. dies allerdings, und da wirds nun sehr bedenklich, ist nicht etwa nur seine eigene schuld, sondern mehr noch der geschäftssinn jener, die ihm die hauptrolle zuschreiben und -tragen. das ganze opernhaus ist korrupt.

eine gute kunstkritik sollte intersubjektiv sein, schreibst du, solle die denkmuster offenlegen, nach welchen sie ein kunstwerk analysiert. mir scheint, ich lege die denkmuster eines schriftstellers offen, den ich kritisiere. in einem zweiten schritt, gesetzt, ich schriebe eine kritik über besagte zitate, würde ich mich fragen, wie kommt der mann zu dieser sprache, zu diesen gedanken? das wort boulevard habe ich oben schon geschrieben. grass produziert selbst keine gedanken, er schustert (mit allen intellektuellen irrtümern und sprachlichen umwegen!) ein paar allerweltsweisheiten, banalitäten, binsen und oberflächlichkeiten zusammen. alles geborgt, kaum halbwegs durchdacht und erst noch pennälerhaft formuliert. auch in den romanen: seine stärke sind die aufzählungen, aber er kann sie nicht zu einer stimmung verdichten. fleissig wie ein musterschüler notiert er, was er alles gehört und gelesen und im kopf behalten hat. was käme dir in den sinn, spontan, wenn du ein treppenhaus beschreiben müsstest? zeigen wolltest, was für 'munterschwarze fabeln' du draufhast? nimm das erste beste: klospülung, küchendüfte, katzen...zeige deine vielgelobte fantasie, stell noch einen zänkischen hausdrachen ans treppengeländer, einen ehestreit in den ersten stock, einen besoffenen rentner vor eine wohnungstür, und dann lass es noch ein bisschen nach kohl riechen, nach babywindeln, lass noch was in der küche anbrennen, auch wenn du dich wiederholst, und dann hast du einen echten grass fabriziert. einfach aufzählen, hinplappern, fertig. vielleicht wagst du noch eine dichterische steigerung, ein poetisches treppenhausgeflüster. bitte: 'ihr verlangsamtes reden glich abgestandener dickmilch, auf die sie geriebenes schwarzbrot, gemischt mit zucker, streuten.' bei anderer gelegenheit kannst du dann das reden mit einer cola vergleichen. 'schreiben gegen das vergessen!' wird es lobend heissen. 'surreal-grotesk!' jubelnd schallen. 'in munterschwarzen farben das vergessene gesicht der geschichte gezeichnet!' wird man informieren. ja, genau, pansch noch ein bisschen politik dazu, kommentiere das zeitgeschehen wie oben in den zitaten, schlage die werbeblechtrommel, und man wird dich, wenn du schwein hast, mit literaturpreisen zudecken. gut schreiben darfst du aber keinesfalls, das wäre eine zumutung fürs publikum. und einer dermassen objektiven kritikerkamarilla gegenüber ungerecht, die schliesslich am besten weiss, was dem markte bekömmlich ist.-
bisschen schwierig für mich, zu deinen ausführungen über die aspekte der intellektuellen uniform stellung zu beziehen ohne mich zu wiederholen. zwar wiederholen wir beide uns sowieso. ich finde in deinen kritiken bestätigt, wie du deine herangehensweise beschreibst. ob die uniform dem leser mehr raum für eigne gedanken lässt, zweifle ich allerdings an. uniform steht bei mir synonym für unselbständig, gleichmacherisch, dressiert. du hast deinen kritiken ein system zugrundegelegt, aber du äusserst durchaus eigene eindrücke nebst allem informativen, gegen das ich nichts sagen will. du hältst jedenfalls nicht hinter dem berg und begründest deine eindrücke. ich kann einfach zusammenfassend sagen, dass mir die leidenschaft grundstoff des lebens ist. und der kunst. ich fühle mich von dir gut verstanden. ich kritisiere aber nicht die leidenschaftslosigkeit der kritiker. ich vermisse die leidenschaft in den büchern oder bin begeistert, wenn ich sie echt vorfinde. ich kritisiere die rezeption dahingehend, dass sie unter der maske der objektivität und der sachlichkeit den grössten schwachsinn kolportiert. ein falsches spiel betreibt. ich möchte den kritiker sehen, der seine kritiken ebenso begründet wie ich und mit zitaten nicht geizt, um das gesagte nicht bloss zu behaupten, sondern auch zu demonstrieren. ich weiss, warum gerade dies unterschlagen wird. man würde sich nämlich lächerlich machen, wenn man den beweis anträte, grass sei ein meister der sprache, sein werk bedeutend in literarischer hinsicht. ich soll glauben und kaufen, darum geht es. ein billiges spiel, das zur fortgesetzten verdummung des 'bildungsbürgers' wesentlich beiträgt. was schriebst du über die gesellschaft, die eigentlich keine gebildeten menschen mehr wolle? bingo!
wenn du deine meinung begründen kannst, sagst du sie, auch wenn das nicht die hauptsache deiner artikel ist. das ist zu meiner arbeit kein gegensatz; wir stellen uns ein anderes tema. wo du dir eine kritik nicht zutraust, schweigst du und beschreibst nur das ambiente eines konzerts. recht so. ich äussere mich auch nicht über bücher und autoren, die ich nicht verstehe. aber es ist auch nicht mein tema, über alles, was beispielsweise in der region bern von jungen autoren erscheint, etwas zu sagen. ich biete keine entsprechende plattform, im gegensatz zu dir mit deinen musikern. ich denke, was du betreibst, was ich tue, kann man beides mit anstand machen. ich schätze an deiner arbeit - habe mich umgesehen - die offene art, die offenlegung deiner absicht. ich denke, auch bei mir wird man nach der lektüre einiger kritiken wissen, was man erwarten kann und worüber ich mich kaum aufhalten werde. wir weisen uns aus, und das finde ich anständig. anderes muss man bei andern suchen.
ich schreibe auch keine kritik für den künstler. ich schreibe schon fürs publikum (und für mich selbst). ich zeige dem interessierten leser, wie gute sprache gemacht wird, woran sie sich messen lassen muss, welches die künstlerischen elemente sind, wie ihr wert einzustufen ist nach meinen kriterien, die ich offenlege und damit verifizierbar mache, nicht zuletzt auch durch zitate. würden wir für ein paar wochen unsere arbeit vertauschen und jeder schlüpfte in die rolle des andern, was würden wir tun? ich brächte ein wissen mit vom auftreten und vom funken, der vom künstler zum publikum springt oder nicht. ich habe ein sensorium für die stimmung im raum. ich vermöchte aber nicht zu sagen, ob eine gruppe wirklich den stil beherrscht und vergleichsweise gut ist, da hätte ich keine erfahrung, weil ich die stile nicht kenne. mein sohn ist jazzmusiker, schlagzeuger. ich sage jazzmusiker, weil ich die stile, die er spielt, gar nicht alle nennen kann. ich vergesse alles gleich wieder. ich kann ihm sagen, wie er auf der bühne wirkt, wie die band zusammenpasst und wie die sache rüberkommt. ich weiss, dass die jungs hart arbeiten, weil ich schon zweimal mit ihnen eine lesung veranstaltet und entsprechend mit ihnen geprobt habe. ich hoffe, sie machen ihren weg. aber ich kann eigentlich nur den sänger wirklich beurteilen. mein sohn spielt sowieso fantastisch, weil er mein sohn ist und ich absolut rytmisch untalentiert bin. ich kann ihnen predigen, sie sollen üben, nicht faul sein, die kommunikation mit dem publikum etwas selbstbewusster aufnehmen. ich freue mich mit ihnen, wenn ihnen bei den proben etwas gelingt, wenn sie auf der bühne erfolg haben. ich verstehe die art gut, wie du deine artikel schreibst. ich hör mir an einem konzert auch die andern bands an. ich könnte mir vorstellen, über solche konzerte zu schreiben, stimmungsreportagen. meine stimmung kenn ich und die des andern publikums nähme ich wahr. das wäre der einzige ansatz, weil ich völlig szenenfremd und musikalisch ganz anders geeicht bin.
woran erkennt man leidenschaft? ihr fehlen ist literarisch schneller auszumachen als ihr vorhandensein: sie wird nämlich oft vorgetäuscht. das erkennt man an den schiefen metafern, der schwulst und an gespreizten wendungen. ebenso an verbrauchten, abgeklatschten wörtern. mir stehn die haare zu berge, wenn allen künstlerischen ernstes etwa herz auf schmerz gereimt wird. die wörter haben ein poetisches verfallsdatum. wer sein pötisches seelchen mit reimen à la freiherr von eichendorff ergiesst, ist vielleicht ein guter wortakrobat, aber gewiss kein ernstzunehmender künstler. wer ihm künstlerschaft zuspricht, nicht bei trost. auch mir ist bestimmt manche leidenschaft fremd, unzugänglich, schleierhaft - frage der erfahrung, des alters und des temperaments. dann habe ich zum werk keinen zugang und schreibe auch nicht darüber, vorausgesetzt, die literarische, sprachliche leistung ist in ordnung. ich kann beispielsweise nichts sagen zu paul celan; nichts! sein werk ist mir versperrt. ich spüre und merke, er schreibt ausgezeichnet, dichterisch, vielleicht vollendet. aber ich verstehe seine sprache nicht. vielleicht in zwanzig jahren, wer weiss. ich lese heute erst und verstehe nietzsche, das wäre mir früher unmöglich gewesen. heute habe ich das vermögen, seine gedanken zu begreifen und seine unglaubliche sprachliche leistung, seine hohe meisterschaft zu würdigen, an der ich früher gescheitert wäre. die leidenschaft kann sehr temperiert erscheinen wie bei canetti, aber sie ist spürbar in der dichte seiner sprache, in der intensität der handlung, im seelischen prozess seiner figuren, was alles ohne bedingunslose leidenschaft nicht zustandekäme. er schreibt trotzdem nüchtern und ruhig, majestätisch.
also, eine informationszusammenstellung mach ich bestimmt nicht, das wäre ein anderer job. ich werte, beurteile. die geschmäcker sind verschieden, darüber will ich nicht streiten. wer grass geniessen will, soll ihn geniessen. aber es gibt wertunterschiede. es gibt kriterien, mit denen man zwischen kitsch, konvention und kunst unterscheiden kann. über den literarischen, ebenso über den künstlerischen wert entscheidet nicht der stoff und nicht die weltanschauung. das ausschlaggebende ist das wie. die fähigkeit des ausdrucks und der gestaltung. verlebendigung, versinnlichung, spannung, übergänge, atmosfäre. und am wichtigsten: die sprache!
meine arbeit, die ich mit den textkritiken verfolge, kann es nicht sein, der informationsflut mein eigenes kleines geriesel an information beizugeben. ich habe zu bieten, was wenige bieten, selten einer sich getraut, schon garnicht, klar, wenn er seine anstellung gefährden würde. ich brauche keine solchen rücksichten zu nehmen.

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Abschlussartikel von Dieter Porth
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" ... , aber du hast soviel geschrieben und ich weiss bald nichts mehr zu sagen: ein paar zitate von grass, um beim beispiel zu bleiben und darüberhinaus zu zeigen, wie ich an texte herangehe, prima vista, ..."
Ich möchte das Lob zurückgeben. Auch du hast viel geschrieben und möchte deinen Vorschlag nach einem Abschlussartikel gern annehmen. Auch ich fühle mich von dir gut verstanden. Erst war ich geneigt, nochmals zu wiederholen, in welchen Details wir uns unterschieden und wo wir Gemeinsamkeiten hatten. Dahinter stand die Motivation, den Abschlussartikel wichtig erscheinen zu lassen. Aber damit hätte ich mich der berechtigten Gefahr ausgesetzt, dass du mich mit Grass auf die Stufe der intellektuellen Schwafler und Schwätzer stellst. Und DAS möchte ich eigentlich vermeiden.
Deshalb halte ich mich kurz und fasse hier einmal zusammen, was ich aus unserem Disput gelernt habe.
"Kunst ist gestaltete Leidenschaft."
In meinen zukünftigen Kritiken werden versuchen, auch die Leidenschaft mit zu berücksichtigen. Die Umsetzung wird schwierig werden; denn ich muss mehr eigene Emotionen in die Kritiken einfließen lassen. Meine Sprache wird persönlicher werden müssen. Da ich mit den Nachwuchsmusikern oft auch in Kontakt stehe, übernehme ich mit meinen Kritiken auch die "Rolle des Lehrers". Eine emotionalere Form der Kritik wird damit zur Gradwanderung, die den Schaffensweg der Künstler mitbestimmen kann:
- Entmutigt meine Kritik den Musiker zu sehr, dann zerstöre ich vielleicht das leidenschaftliche Pflänzchen der Kunst.
- Lobt meine Kritik die Stärken zu wenig, dann verkümmert vielleicht das leidenschaftliche Pflänzchen der Kunst.

Ich habe an unserem Streitgespräch viel gelernt. Dafür danke ich Dir und hoffe, dass auch du viel aus dem Streitgespräch für dich mitgenommen hast.

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Abschluss von Daniel Costantino (29.1.07)
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das wort streitdialog hatte mich schon sehr gereizt, dafür bin ich immer zu haben, und mit grosser freude sah ich, dass da einer gleich mir am ball bleibt, sich die zeit nimmt und ausführlich auf die dinge eingeht. etwas erstaunt hat mich dein verständnis für meine position, das muss ich verschämt einräumen, ich hätts mir zu anfang so gar nicht vorstellen können. dass da einer meine scharfen attacken so ruhig und konzentriert kontert und dabei noch die grösse hat, die grenzen seiner eigenen bestrebungen selbst aufzuzeigen - hut ab! das hat mich menschlich beeindruckt und bereichert.
irgendwie reim ich mir schon immer was zusammen im kopf, wenn ich mich an eine längerfristige arbeit mache. aber scharf nachgedacht, was ich mit meinen textkritiken eigentlich treibe, hatte ich zuvor noch nicht. du hast es mir abverlangt, und das hat mir gut getan. ob sich dadurch an meiner art zu kritisieren etwas ändert, ich künftig dies oder jenes einräumte, objektivierte, mitbedächte, weniger schnell ins kraut schösse - ich glaube nicht. ich sehe, dass man deine arbeit ehrlich und respektabel machen kann, werde aber nachwievor zu etwas meinen beitrag leisten, das meiner meinung nach im allgemeinen und in der literaturkritik im besonderen viel zu kurz kommt. ausserdem ist nicht alles, was wir beide treiben, direkt vergleichbar, nicht so sehr, weil die disziplin, sondern weil die aufgabe, die wir uns stellen, zum teil eine andre ist.
keine sorge: ich stell dich schon nicht auf die stufe der blechtrommler. im gegenteil, es wäre mir ein vergnügen, bei anderer gelegenheit wieder mit dir zu tun zu haben. ich werde die wochen vermissen, wo ich, von dir in die pflicht genommen, am schreibtisch hockte und mich und meine arbeit durchleuchten musste - etwas, was ich ohne druck von aussen gar nicht zustandebringe.
Dr. Dieter Porth (info@padina.com)   -   Haftungsausschluss
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